Auf Los geht’s los? Lernen als aktiver Prozess

Lernen ist mühsam. Lernen muss Spaß machen. Lernen muss effektiv sein. Lernen muss… Lernen ist..

Wir kennen diese Sätze, sie sind austauschbar. Sie können noch zahlreiche andere Kombinationen des Vorhandenen erstellen. Sie können Adjektive tauschen, Hauptwörter tauschen… Sie können… Sie können auch nicht nicht lernen. Paul Watzlawick wird mit seinem Wir können nicht nicht kommunizieren immer wieder abgewandelt, zurecht. Wir lernen immer und überall. Nur beim Schlafen können wir nicht so gut lernen, das ist (leider) ein Mythos (wobei wir eigentlich im Schlaf lernen – ziemlich kompliziert, aber eigentlich ganz einfach). Die Frage ist nur, was wir in welcher Form und warum lernen.

Lernen ist ein lebenslanger Prozess, der uns ermöglicht, Wissen zu erwerben, Fähigkeiten zu entwickeln und uns schließlich auch persönlich weiterzuentwickeln. Wir können im kognitiven Bereich lernen, wir können affektiv lernen, wir können motorisch lernen. Wir müssen aber nicht. Außer in der Schule und der Hochschule, da müssen wir manchmal Dinge lernen, die wir vielleicht gar nicht so gerne lernen. Und in diesem Kontext können wir uns die Frage stellen: Wie können wir sicherstellen, dass unser Lernprozess effektiv ist und nachhaltige Ergebnisse liefert? Die Antwort liegt in der Ausbildung und der Anwendung von Lernstrategien, die das aktive Engagement fördern und die kognitive Belastung berücksichtigen. In diesem Beitrag möchte ich einige Lernstrategien nennen, die nützlich sein können. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht von Lerntypen ausgehe, denn Lerntypen sind ein Mythos (wie noch so manche andere gute Meinung).

Zwei Theorien leiten meine Überlegungen: Lev Vygotskys soziokulturelles Lernmodell und Swellers Cognitive Load Theory.

Die Zone der nächsten Entwicklung

Lev Vygotskys soziokulturelles Lernmodell rund um die Zone der nächsten Entwicklung, ist eine Theorie, die die Bedeutung sozialer Interaktionen und des kulturellen Kontextes für das Lernen in den Vordergrund stellt. Vygotsky argumentiert, dass Lernen ein sozialer Prozess ist, der durch Interaktionen mit anderen und die Nutzung von kulturellen Werkzeugen erfolgt.

Quelle: Wikipedia (CC0)

In Vygotskys Modell spielt die Lehrperson eine aktive Rolle als Vermittlerin von Informationen und als Unterstützerin des Lernprozesses. Durch gezielte Anleitung und Bereitstellung von Hilfsmitteln kann die Lehrperson den Lernenden dabei helfen, ihr Potenzial zu entfalten und neue Fähigkeiten zu entwickeln, die sie alleine und ohne Hilfe (noch) nicht erreichen könnten. Dieses Lernmodell betont damit die Bedeutung von sozialer Interaktion, kultureller Vermittlung und aktiver Unterstützung beim Lernen, das als Prozess gedacht werden muss. Wichtig ist das Gestalten einer unterstützenden Lernumgebung, in der Lernende aktiv an ihrem eigenen Lernprozess teilnehmen können. Diese Lernumgebung sieht auch die Vermittlung von (Lern-)Strategien vor, das Lernen am Modell, das Lernen durch Imitation und durch verschiedene Formen von Scaffolding.

Das Kernkonzept seines Modells ist die Zone der nächsten Entwicklung (Zone of Proximal Development, ZPD). Diese Zone bezeichnet den Bereich zwischen dem aktuellen Entwicklungsstand einer Person und dem Potenzial, das sie mit Hilfe eines kompetenten Mentors oder einer kompetenten Mentorin oder durch Zusammenarbeit mit anderen erreichen kann. Mit anderen Worten: Die ZPD zeigt auf, was eine Person lernen kann, wenn sie Unterstützung erhält, sei es von Lehrpersonen, Gleichaltrigen oder durch kulturelle Werkzeuge bzw. digitale Technologien.

Die Cognitive Load Theory

Bevor wir uns mit den konkreten Lernstrategien befassen, ist es noch wichtig, einen Blick auf die Cognitive Load Theory zu werfen, da sie mit Vygotsky eng verknüpft ist, die mit der Frage startet: Wozu sind Lernende bereits fähig (sowohl motorisch, als auch affektiv und kognitiv)? Die Cognitive Load Theory entwickelt von John Sweller in den 1980er Jahren, besagt, dass das Arbeitsgedächtnis eine begrenzte Kapazität hat und dass das Lernen effektiver ist, wenn die kognitive Belastung beim Gestalten von Lernumgebungen berücksichtigt wird. Ähnlich wie bei einem Flaschenhals, der den Durchfluss behindert, führt der Bottleneck-Effekt im Arbeitsgedächtnis dazu, dass bestimmte Informationen nicht verarbeitet werden können, was zu einem Verlust oder einer Verzerrung von Informationen führen kann. Wir sind nicht in der Lage unendlich viele Reize im Sinne von Informationen gleichzeitig aufzunehmen und zu verarbeiten.

Quelle: Pixabay

Drei Belastungen lassen sich bei Sweller grundsätzlich unterscheiden – stellen wir sie uns als Tortendiagramm vor:

  • Intrinsische Belastung: Diese Art von Belastung bezieht sich auf die Schwierigkeit der zu erlernenden Aufgabe selbst. Komplexität, Neuheit und die Anzahl der zu verarbeitenden Informationen sind Faktoren, die die intrinsische Belastung beeinflussen. Eine hohe intrinsische Belastung kann das Lernen erschweren, insbesondere wenn die Lernenden nicht über ausreichende Vorkenntnisse oder Strategien verfügen, um mit der Aufgabe umzugehen. Die intrinsische Belastung kann durch Chunking oder Scaffolding reduziert werden, ebenso durch ein klares Verständnis des Vorwissens der Lernenden.
  • Extrinsische Belastung: Diese Belastung entsteht durch die Art und Weise, wie Informationen präsentiert oder dargeboten werden. Komplexe Darstellungen, unklare Anweisungen oder Ablenkungen (durch Formatierungen oder unnötige graphische Elemente) können die extrinsische Belastung erhöhen und das Lernen erschweren. Eine effektive Gestaltung von Lernmaterialien und -umgebungen kann helfen, die extrinsische Belastung zu reduzieren und damit das Lernen zu erleichtern. Wir versuchen, die extrinsische Belastung gering zu halten, indem wir irrelevante Elemente (Informationen, Graphiken, Schriften, Farben usw.) weglassen. Presentation Zen wäre hier als guter Ansatz für PowerPoint-Präsentationen zu nennen.
  • Germane (lernbezogene) Belastung: Diese Belastung ist positiv und bezieht sich auf die mentale Anstrengung, die für die Verarbeitung und das Verstehen von Informationen, also für das Lernen, erforderlich ist. Wenn Lernende aktiv über das Gelernte nachdenken, Zusammenhänge herstellen und Strategien entwickeln, um Probleme zu lösen, entsteht diese lernbezogene Belastung. Diese Art von Belastung fördert das Lernen und das Verständnis, da sie dazu beiträgt, mentale Modelle aufzubauen und das Gelernte zu verankern. Im Tortendiagramm sollten wir für die lernbezogene Belastung möglichst viel Raum lassen.

Strategien, Strategien, Strategien

Beim Lernen sollten wir uns auf wesentliche Informationen konzentrieren und unnötige kognitive Belastungen reduzieren. Lernstrategien können uns dabei helfen, dies umzusetzen. Ich beginne mit der wichtigsten, die übrigen sind nicht nach Wichtigkeit gereiht.

  • Aktives Lernen: Anstatt passiv Informationen aufzunehmen, sollte Lernen ein aktiver Prozess sein, der eigenes Denken, Engagement und Anwendung von Wissen beinhaltet. Durch Diskussionen, das Beantworten von Fragen, das Unterstreichen oder das Erstellen von Zusammenfassungen, zum Beispiel in Form von Mindmaps, Sketchnotes oder Infografiken, können wir unser Verständnis vertiefen und das Gelernte besser behalten, indem wir auch Querverbindungen herstellen und (visuelle) Anker setzen können.
  • Lernen in kleinen Portionen: Die Idee, das Lernen über einen längeren Zeitraum zu verteilen, ist entscheidend für langfristiges Behalten und Verständnis. Anstatt alles auf einmal zu lernen, können wir durch regelmäßige Wiederholung und Aufteilung der Lernzeit unsere Lernziele effektiver erreichen. Dabei können uns auch adaptive Systeme helfen, die uns beispielsweise beim Vokabellernen auch jene Vokabel, die wir schon können, immer wieder „vorlegen“, damit wir sie nicht vergessen, bis wir die anderen gelernt haben.
  • Verschachteltes Lernen: Das abwechselnde Üben verschiedener Themen oder Fähigkeiten ermöglicht es uns, unsere Anpassungsfähigkeit zu verbessern und das Gelernte auf verschiedene Kontexte anzuwenden. Diese Technik fördert ein tieferes Verständnis und langfristige Erinnerung. Damit wird auch verhindert, dass man beginnt, Dinge nur zu überfliegen, weil man sie eh schon kennt. Damit rutscht man in eine Passivität ab und denkt weniger aktiv nach.
  • Optimierung der kognitiven Belastung: Es ist wichtig, die kognitive Belastung während des Lernens zu berücksichtigen und anzupassen. Indem wir uns auf herausfordernde, aber erreichbare Aufgaben konzentrieren und Überlastung vermeiden, können wir unsere Lernleistung verbessern. Als Partnerin beim Scaffolding kann uns beispielsweise eine generative KI helfen – wie beispielsweise ChatGPT. Komplexere Inhalte können in ihrer Komplexität (auch auf sprachlicher Ebene) reduziert werden, was die intrinsische Belastung minimieren kann.
  • Entwicklung von Metakognition: Metakognitive Strategien, wie das Überprüfen des eigenen Lernfortschritts und das Anpassen von Lernstrategien, sind entscheidend für effektives Lernen. Indem wir unsere Lernprozesse reflektieren und anpassen, können wir unsere Lernziele effizienter erreichen. Dazu gehört auch das Ausprobieren verschiedener Lernstrategien, um für das jeweilige Thema eine passende Strategie zu finden.
  • Nutzung von Mnemotechniken: Mnemotechniken, wie das Bilden von Assoziationen oder das Erstellen von Mindmaps, Sketchnotes oder Infographiken, können uns dabei helfen, das Behalten und Abrufen von Informationen zu erleichtern. Durch gezielte Gedächtnisstützen können wir unser Gedächtnis verbessern und unseren Lernerfolg steigern. So kann man sich auch an ein Passwort, das sich aus den Anfangsbuchstaben eines Satzes zusammensetzt, leichter merken als eine beliebige Abfolge von Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen.

Intermezzo: Sketchnotes und Graphic Recording in a nutshell

Sketchnotes sind visuelle Notizen, die durch Kombination von Text, Bildern, Symbolen und Strukturierungstechniken erstellt werden, um komplexe Informationen leicht verständlich und leicht merkbar zu machen. Statt traditioneller Notizen, die nur aus Text bestehen, erfassen Sketchnotes die Hauptpunkte eines Vortrags, einer Präsentation oder eines Textes auf kreative und visuelle Weise.

Graphic Recording geht einen Schritt weiter und beinhaltet das Live-Zeichnen von Inhalten während eines Vortrags, Workshops oder Meetings. Ein Graphic Recorder erstellt in Echtzeit visuelle Zusammenfassungen der besprochenen Themen, wobei er wichtige Konzepte, Ideen und Diskussionen einfängt und sie auf einem großen Whiteboard, einem großen Packpapier, einer Leinwand oder digital festhält. Hier ein Beispiel.

Diese Techniken fördern aktives Zuhören und Engagement während des Lernprozesses, da die Lernenden die Kernkonzepte schnell erfassen und sie in ihre eigenen Worte und Bilder umsetzen müssen. Durch das Erstellen von Sketchnotes oder das Beobachten von Graphic Recording können Lernende komplexe Informationen verarbeiten, verstehen und behalten, indem sie sie in visuelle Darstellungen umwandeln. Diese visuellen Notizen dienen dann als nützliche Referenz für spätere Studien oder zur Zusammenfassung des Gelernten.

ACHTUNG: Diese Methoden müssen geübt werden (wie hier beim Sketchnote Fever Schritt für Schritt). Werden sie ungeübt eingeführt, können sie zu einer kognitiven Überlastung führen.

  • Multisensorisches Lernen: Das Einbeziehen verschiedener Sinne, wie Hören, Sehen und Bewegung, ermöglicht es uns, Informationen auf verschiedene Weise zu verarbeiten und zu verstehen. Indem wir multisensorisches Lernen praktizieren, können wir unser Verständnis vertiefen und unsere Lernleistung verbessern. Wir sprechen mehrere Kanäle an – ich habe hier als Beispiel für das Laut-Lesen-Lernen den Robotersprech beschrieben. Er klingt seltsam, aber er hilft. Wenn man den Text noch auf einem Bein oder einem Balance Board stehend oder gehend liest, dann kann das auch helfen, solange man sich dabei auch wohl fühlt.
  • Erklären und Unterrichten: Sich aktiv daran zu beteiligen, das Gelernte anderen zu erklären oder zu unterrichten, kann unser eigenes Verständnis vertiefen und Wissenslücken aufdecken. Durch die Vermittlung von Wissen an andere können wir unser Verständnis festigen und unser Selbstvertrauen stärken. Außerdem erkennen wir auch, wo unsere eigenen Schwachstellen oder auch blinden Flecken sind. Das Lernen durch Lehren nach Jean-Pol Martin ist hier ein zu empfehlendes Modell.
  • Reflexion und Feedback: Regelmäßige Reflexion über den Lernprozess sowie die Einholung von Feedback von Lehrpersonen, Peers oder durch Selbstbewertung sind entscheidend für unseren Lernerfolg. Indem wir unseren Lernfortschritt überwachen und anpassen, können wir unser Lernen optimieren und unsere Ziele effektiver erreichen. Und wir bekommen dabei auch die Möglichkeit, kleine Zwischenerfolge zu feiern. Das kann die Motivation am Leben erhalten. Die Begründungskompetenz kann uns hier helfen, die ich im Kontext von Künstlicher Intelligenz als „neue“ Notwendigkeit sehe. Wenn ich mein Tun, meine Entscheidungen und mein Lernen begründen kann, dann dringe ich tiefer in die Materie ein.
  • Handschriftliches Notieren: Studien haben gezeigt, dass das handschriftliche Notieren von Informationen eine bessere Gedächtnisleistung und ein tieferes Verständnis fördern kann als das Tippen auf einem Computer. Dies liegt möglicherweise an der zusätzlichen kognitiven Verarbeitung, die beim Schreiben von Hand stattfindet. Die Bewegung der Hand spielt hier eine Rolle, der veränderte Blick, aber auch das Zusammenfassen im Kopf. Wir tippen meist wörtlicher, als wir handschriftlich schreiben – hier fassen wir Inhalte oftmals eher zusammen. Dabei geht es nicht um ein ENTWEDER Handschrift ODER tippen. Es geht um die Mischung.

Zum Abschluss

Natürlich sind das nur einige wenige Strategien und die Liste ließe sich verlängern. Zusammenfassens gesagt, ist es einfach wichtig, dass Lernende verschiedene Lernstrategien ausprobieren und an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen. Indem wir aktiv und reflektiert lernen, können wir unser Potenzial voll ausschöpfen und unseren persönlichen Erfolg fördern.

Ich korrigiere auch meine oben genannte Reihung der Wichtigkeit. Am Allerwichtigsten ist eines: Mit dem Lernen zu beginnen. Auf Los geht’s los!

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