Fachdidaktik im Zentrum von Forschungstransfer und Transferforschung: eine Nachlese.

Von 29. Bis 31. August 2022 fand an der Uni Wien die Jahrestagung von ÖGFD und GFD statt. Sie stand unter dem Titel: „Fachdidaktik im Zentrum von Forschungstransfer und Transferforschung“. (M)Eine Nachlese.

Konferenzen und Tagungen sind immer eine spannende Sache. Man kommt aus dem eigenen Büro raus, verlässt die eigenen Bubble, lernt neue Menschen und neue Ideen kennen, die man sammeln und kategorisieren kann und muss, um länger etwas davon zu haben. Das ist Wissensmanagement. Es gibt hier mehrere Möglichkeiten, die ich auch auf dieser Tagung wahrnehme: Notizblöcke, Notizbücher, Sketchnotes, iPads, Computer… Hier ist alles dabei: Digitales und Analoges, Graphisches und Textuelles, Mündliches und Schriftliches…

Quelle: Pixabay

Mein persönliches Wissensmanagement ist schon seit Jahren ein digitales. Ich notiere am Computer und übertrage die Notizen dann in einen (mehr oder weniger systematischen) Fließtext auf meinem Blog. Der Vorteil: Ich kann so meine Gedanken und Notizen teilen. Das persönliche Wissensmanagement wird zum Wissenstransfer – oder zumindest zum Angebot, den Transfer anzunehmen. Für mich ist es jedenfalls eine Möglichkeit, meine neuen Gedanken mit alten Gedanken zu verknüpfen und Neues zu denken. Assimilation und Akkomodation eben in Form meiner Learnings (und keiner Einzelrezension der verschiedenen Vorträge – hier ein Einblick in das Programm und hier das Positionspaper zu den Formaten fachdidaktischer Forschung).

Transfer als Begriff muss operationalisiert werden.

Transfer ist ein allgemeinsprachlich verständlicher Begriff und jede*r von uns meint zu wissen, was sich hinter dem Begriff versteckt und was man zu verstehen hat. Auf der Tagung ist jedoch klar geworden, dass man sich fragen sollte, wer ist im Transfer gemeint und was soll transferiert werden? Wir müssen die Akteur*innen und die Inhalte aber auch die Mittel und Wege benennen und definieren. Spannend habe ich dabei gefunden, dass die Studierenden und in weiterer Folge die Schüler*innen als Transferklientel (schreibe ich mal so salopp) nicht mitgenannt waren. Das war mein erstes Aha-Erlebnis, denn ich verorte mich stark in diesem Transferprozess. Auch der Beitrag, den Joe Buchner und ich eingereicht hatten im Symposium „(Hoch-)schulische Wissensvermittlung 4.0? Digitalität und Wissenstransfer in der Lehrer*innenbildung. Synergien oder Diskrepanzen?“ ging in diese Richtung:

Ziel war ein Methodentransfer zum AR Escape Fake Game, den die Studierenden aus zwei Lehrveranstaltungen vornehmen sollten, angelehnt an das TPACK-Modell und das Bielefelder Medienkompetenzmodell nach Baacke. Er hat teilweise geklappt, teilweise nicht. Im Symposium wurden in der Diskussion mögliche Stolpersteine ausgegraben. Sie werden in eine mögliche Publikation einfließen. #StayTuned

In Hinblick auf eine Klärung des Begriffs Transfer werden im Zuge der Tagung gegenseitiges Teilen (sharing), Austausch (exchange) und co-construction von Wissen als alternative Begriffe bezeichnet. Weil Transfer ja eher wie eine Einbahnstraße wirkt oder wie eine unidirektionale Interaktion (nicht zwangsläufig eine Kommunikation) – und das ist ja eigentlich zu wenig weit gedacht.

Allgemeine Fachdidaktik ist für mich ein innerer Widerspruch.

Die Fachdidaktik referenziert auf ein Fach. Das unterscheidet sie von der Didaktik, oder macht sie zu einer Teilmenge der Didaktik. Auf der Tagung wurde jedoch auch von einer allgemeinen Fachdidaktik gesprochen und, ohne großartig recherchiert zu haben, habe ich mit der allgemeinen Fachdidaktik vom Gefühl her ein terminologisches Problem. Ich würde hier von Didaktik sprechen, die sich in Teilmengen denken lässt: Mediendidaktik, Fachdidaktik(en), Sprach(en)didaktik… Die Perspektive, die man einnimmt, oder die Brille, die man aufsetzt, machen den Unterschied. Die allgemeinen Zugänge sind aber mE in der Didaktik angelegt, die stark auf verschiedene Bezugswissenschaften referenziert (beispielsweise Kognitionswissenschaft, Medienpädagogik, Erziehungswissenschaft, Lernpsychologie, Soziologie…). Hier ist mein Verständnis aber vielleicht nicht weit genug gedacht, hier muss ich weiterdenken. Hier ein Beitrag von Martin Rothgangel und Helmut J. Vollmer dazu. Und noch ein weiterer Gedankenanreißer und ein etwas allgemeinerer Text zum Thema.

Die Fachdidaktik ist eine Appendixwissenschaft – nach wie vor.

Die Fachdidaktik als Blinddarm des (Fach)Studiums – sie ist da, aber sie ist nicht lebensnotwendig. Wenn sie nicht da ist, ist es auch schön. Ich dachte, wir seien da schon drüber hinweg und die Fachdidaktik habe sich etabliert. Der Blinddarm nimmt ja auch eine wichtige Funktion ein, eigentlich. Das Klagen auf der Tagung (und ich will’s genau so nennen) hat gezeigt, dass sich die Fachdidaktik nach wie vor rechtfertigen muss. Empirische Studien haben sich mittlerweile etabliert, evidenzbasierte / forschungsgeleitete Lehre setzt sich durch. Wirksamkeitsstudien fehlen noch – so der Tenor auf der Tagung. Und sie sind auch schwierig, weil in Unterricht und Lehre immer sehr viele Aspekte zusammenspielen und man nicht einen gegen einen anderen Aspekt einfach so austauschen kann. Die Laborbedingungen schränken das Transferpotential oder die Transfermöglichkeit ein – Reproduzierbarkeit als Problem.

Der Blick über den Tellerrand wird gefordert.

Spannend zu beobachten war die Forderung, Fachdidaktik internationaler zu sehen und den Blick über den deutschsprachigen Kontext hinaus zu wagen. Genannt wurden Afrika und Asien; genannt wurde aber auch die sprachliche Barriere. Wenn auch Englisch als Lingua Franca zu sehen ist, passiert einiges an Publikationsleistung eben deshalb nicht, weil das Publizieren auf Englisch nicht gewagt wird und das Publizieren in der Erstsprache nicht gefördert wird. Diese Aussage ist sehr zugespitzt und verknappt formuliert. Im Kern kann man sich schon wieder finden. Ich verweise noch mal auf die Problematik, „Fachdidaktik“ und „Mediendidaktik“ ins Englische zu übersetzen, ohne dabei eine semantische Neubesetzung vorzunehmen und ohne die wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung aufzugeben bzw. sich in die englischsprachige Tradition einzuschreiben (vgl. „Multiliteralität“ vs. „Multiliteracy“). Zur Rolle von Übersetzbarkeit von Fachbegriffen, Kollokationen, Traditionen betrachten Rothgangel und Vollmer (2020) in ihrem Beitrag.

Wenn wir die Internationalisierung denken, dann sollten wir mE auch die Interdisziplinarität noch stärker denken. Gerade wenn ich an die Digitale Grundbildung denke. Oder auch die Wissenschaftskommunikation. Erstere war auf der Tagung kein Thema, letztere schon. Eigentlich hätte man die Wissenschaftskommunikation auch in den Titel nehmen können, so präsent sie (latent oder evident) in den einzelnen Vorträgen und vor allem auch Keynotes doch war. Wie fruchtbar der Austausch über die eigene Disziplin hinaus ist, zeigen derartige Konferenzen. Man steht beim Kaffee zusammen und diskutiert ein Thema. Dabei lernt man verschiedene Perspektiven und Theorien kennen. Und man kann auch den Eurozentrismus überwinden, den wir meist „nur“ um die angloamerikanische Perspektive erweitern. Das ist vielleicht auch okay, wenn wir uns dieser Einschränkung bewusst sind.

Selbstwirksamkeit und Netzwerkbildung sind zentrale Aspekte im Transfer (oder Austausch).

Zwei Bereiche, die ich so gar nicht zusammengebracht hätte. Selbstwirksamkeit (für alle, die nicht sicher sind, was darunter zu verstehen ist, hier eine Definition unter Berücksichtigung von Bandura) ist eine Voraussetzung dafür, Transfer zu starten – und zwar sowohl in die Unterrichtspraxis als auch die Gesellschaft. Sie ist auch in weitestem Sinne Teil von Resilienz, die aktuell in aller Munde ist (zurecht, wie ich meine). Ein zweiter Teil von Resilienz ist Netzwerkorientierung. Und genau das Netzwerkbilden ist auch eine Transferleistung und bedarf Kompetenz(en). Wie kommuniziere ich in einem Netzwerk? Was gebe ich von mir preis? Was gebe ich, was nehme ich? Wo setze ich meine Netzwerkpunkte? Den Verweis auf Siemens‘ Connectivism liefere ich hier der Vollständigkeit halber, viel interessanter die Social-Media-Taxonomie von Kaplan und Haenlein (2010) in diesem Kontext, die diese Fähigkeit aufnehmen. Was kommuniziere ich von mir? Wie tue ich es? Wie arbeite ich hier mit Nähe und Distanz? Es sind spannende Fragen, die jede*r für sich beantworten muss. Die Netzwerkkompetenz ist eine spannende, die sicherlich auch mit den berühmten 4Cs oder 4Ks in Verbindung steht.

Ich hatte zum einen die Verbindung dieser beiden Bereiche nicht am Radar oder parat, zum anderen ist mir einmal mehr bewusst geworden, wie wichtig das Teacher Well-Being, die Gesundheit der Lehrperson, im Kontext des Unterrichts und des „Wissenstransfers“ ist. Umso höher die Belastung, umso schneller sind wir am Anschlag, sind genervt und ungeduldig, müde, unaufmerksam… Gerade in der Interaktion mit jungen, lernenden und unser Verhalten spiegelnden Heranwachsenden keine optimale Rahmenbedingung. Aber auch für uns persönlich ist es wichtig, die eigene (psychische) Gesundheit im Auge zu behalten. Work-Life-Balance ist nicht nur ein Schlagwort. Es ist eine Grundvoraussetzung.

Wissenschaftskommunikation ist nicht Wissen(schaft)skommunikation

Im Zuge der Konferenz stand vor allem die Wissenschaftskommunikation im Zentrum der Vorträge. Dabei wurde betont, dass Twitter eine zur Wissenschaftskommunikation gern genutzte Anwendung ist; auch zur Vernetzung – das Twitterlehrerzimmer (#twlz) wurde als konkretes Beispiel genannt. Hier gibt es eine phasenübergreifende Vernetzung bzw. einen phasenübergreifenden Austausch, auf niederschwellige Weise: über die Grenzen des Fachs hinaus, Studierende lernen von Schulleiter*innen und umgekehrt; Wissenschaftler*innen profitieren von den Erfahrungen von Lehrer*innen und umgekehrt. Natürlich immer persönlichkeitsabhängig, aber so könnte es funktionieren. Hierbei wird auch die eigene Echokammer vielleicht verlassen, weil die Kommunikation und Interaktion generationenübergreifend sein kann.

Aus meiner Erfahrung ist es dafür aber wichtig, ein Hashtag für eine Tagung zu haben, der allgemein gültig ist und den alle nutzen. Ich lese selbst auch gerne mit bei Tagungen, an denen ich nicht anwesend sein kann. Schade, wenn es dann kein einheitliches Hashtag gibt, nach dem man filtern kann.

Wissenschaftskommunikation muss gelernt sein.

Die gesamte Tagung über musste ich an die Keynote von Martin Moder bei den #Edudays im April in Krems an der Donau denken. Im Anschluss an den Vortrag stellte er die Frage nach der Wissenschaftskommunikation und warum Wissenschaft in Österreich nicht vertraut wird. Ich hatte damals in den Raum geworfen, dass Wissenschaftskommunikation in Österreich so schwer angenommen wird, weil Wissenschaft etwas Ernstes ist, etwas Seriöses, etwas Abgehobenes. Denken Sie an einen Wissenschaftler. Woran denken Sie? Wie sieht das Bild vor Ihrem inneren Auge aus? Bei mir so:

Quelle: Pixabay

Vielleicht ein bisschen älter. Grauhaarig, jedenfalls mit Brille. Aber nicht so:

Quelle: Pixabay

Oder eben so. Im Bild Martin Moder beim Science Slam als Fliege:

Wissenschaftskommunikation ist deshalb schwierig, weil man über Wissenschaft eben keine Witze macht. Und wer Witze macht, der durchlebt eine Gratwanderung: zwischen pointiert und witzig ist der Grat nicht breit. Zwischen Wissenschaft und Kabarett liegen (in den Köpfen des einen oder der anderen) Welten.

(Manche) Wissenschaftler*innen sitzen manchmal in Elfenbeintürmen und beobachten. Ich meine das nicht böse. Ich verallgemeinere nicht. Aber manchmal stellt es für Wissenschaftler*innen doch eine Herausforderung dar, ihr Wissen an den Mann und an die Frau zu bringen. Wir können hier zwischen interner und externer Wissenschaftskommunikation sowie Lehre unterscheiden.

  • Interne Wissenschaftskommunikation wäre innerhalb der Echokammer und/oder Community (auf Konferenzen z.B.). Hierunter fallen Science to Professionals und Science to Science.
  • Externe Wissenschaftskommunikation meint die Allgemeinheit, also Science to Public. Die Gruppe ist hier besonders heterogen und schwer einzuschätzen. Je nach Auswahlkriterien erreiche ich unterschiedliche Personen(gruppen).
  • Lehre ist mE eine Sonderform der internen Wissenschaftskommunikation, da sie ein hierarchisches Verhältnis (Schlagwort: Beurteilung) vorsieht. Die interne Wissenschaftskommunikation ist hingegen heterarchisch.

Wir haben hier verschieden heterogene Zielgruppen und müssen eine klare Zielgruppenanalyse betreiben. Die Methoden der Kommunikation sind ähnlich, die Ziele sind vielleicht andere. Je nachdem, was wir erreichen wollen und was wir beim Publikum voraussetzen können, wählen wir das Thema (Allgemein vs. Spezifisch; Oberfläche vs. Tiefe), die Sprache (Fach- vs. Allgemeinsprache) und die terminologische Dichte. Je nach Vorwissen holen wir weiter aus oder setzen (spezifische) Vorkenntnisse voraus.

Das Ziel ist in allen drei Bereichen ähnlich. Wir wollen informieren, wir wollen Verstehen bewirken, (Wissen und Begeisterung) vermitteln; wir wollen aufklären und vielleicht auch ein wenig unterhalten. Ich zumindest bevorzuge eine angenehme Kommunikationsumgebung – in allen Bereichen. Wir nehmen hierfür verschiedene Rollen ein.

Und Wissenschaftskommunikation muss man lernen – es geht nicht darum, einfach mal langsamer zu sprechen. Wissenschaftskommunikation meint Vermittlung und dabei muss ich eben wissen, was ich wem, wie, wo und aus welchem Grund bzw. mit welchem Ziel vermittle. Wenn ich mir solche Fragen stelle, bin ich eigentlich im TPACK-Modell, das uns alle leiten sollte – digitale Medien hin oder her. Und damit bin ich sowohl in der Medien- als auch in der Fachdidaktik. Und damit schließt sich der Kreis zum Tagungsthema.

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