Der Mensch ist ein Geschichtenerzähler. Warum nutzen wir diese Fähigkeit zu selten?
Das Erzählen ist ein Anthropologikum, sagt Jürgen Staub, und stellt uns den Homo Narrator vor. Der Hang zum Erzählen von Geschichten kann als anthropologische Konstante bezeichnet werden. Geschichten helfen uns dabei, unseren Alltag zu bewältigen. Sie begleiten uns aber auch im Alltag – Narrative, also sinnstiftende Erzählungen werden in Werbung, Politik, in den Medien eingesetzt. Wird eine Geschichte erzählt, hören wir zu. Und wir lernen (erinnern wir uns an die Lach- und Sachgeschichten oder an Tao Tao). Wir schenken Geschichten unsere Aufmerksamkeit. Diesen Umstand kann man sich zunutze machen, will man Menschen von etwas überzeugen oder sie informieren oder belehren. In einer Präsentation zum Beispiel, im Unterricht und auch sonst. Neumodern hat sich der Begriff Storytelling für das Geschichtenerzählen etabliert. Storytelling hat viele Vorteile, von der Unterhaltung bis zur Vermittlung von Wissen. Eine gut erzählte Geschichte kann die Aufmerksamkeit der Zuhörer:innen auf sich ziehen. Sie kann die Vorstellungskraft anregen und sogar das Gedächtnis verbessern. Storytelling ist gleichzeitig eine effektive Methode, um komplexe Konzepte zu erklären und Informationen auf eine engagierte, engagierende und leicht verständliche Art und Weise zu transportieren.
Was ist Storytelling?
Storytelling ist, ganz salopp, die Kunst des Geschichtenerzählens. Gemeint ist eine Technik, die verwendet wird, um eine Geschichte so zu erzählen, dass die Zuhörer:innen gefesselt dabei sind. Ziel ist, eine emotionale Verbindung zu den Inhalten der Geschichte zu erreichen. Storytelling ist gleichzeitig auch eine wichtige Methode, um Wissen und Erfahrungen weiterzugeben und wird heutzutage in vielen Bereichen eingesetzt, von der Werbung bis zur Bildung.
Eine gute Geschichte besteht aus verschiedenen unterschiedlichen Elementen: Charakteren, Handlung(en) und Konflikt(en). Die Charaktere in einer Geschichte sollten interessant, authentisch und einzigartig sein – auf keinen Fall so wie Insta_Repeat. Sie sollten so gestaltet sein, dass sie eine Identifikation oder eine Distanz erlauben (siehe hierzu auch klassische Dramentheorien von Aristoteles bis Dürrenmatt). Eine gewisse Fallhöhe ermöglicht dies, die Zuhörer:innen können eine Verbindung zu den Charakteren aufbauen. Die Handlung sollte spannend und gut strukturiert sein, damit die Geschichte flüssig erzählt werden kann. Dabei ist als Kern ein Konflikt anzusehen, dieser kann in verschiedenen Formen auftreten, beispielsweise als innerer Konflikt des Charakters oder als Konflikt mit einer äußeren Bedrohung. Wichtig ist es dabei, auch persönlich zu sein und die Zuhörer:innen direkt anzusprechen. Die Geschichte kann dabei emotional und einfach sein. Es geht um die Bilder und die Beziehung.
Dabei kann man dem Aufbau des klassischen Dramas folgen: Exposition – Auslösendes Moment – Höhepunkt – Retardierendes Moment – Lösung. Man kann aber auch mit einem Dilemma oder Konflikt einsteigen und damit – ganz nach Horaz – medias in res gehen. Oder man setzt auf eine kürzere Variante – wie beispielsweise beim strategischen Storytelling vorgeschlagen wird (einer Seite, die zahlreiche Ideen und Inspirationen für den Business- und Marketingbereich liefert). Kurz und knapp zusammengefasst und gut zu lesen ist der Beitrag auf schreiben.net. Wer noch weitere Beispiele sucht, wird bei Textbroker fündig.
Storytelling kann auf unterschiedliche Arten erfolgen, z.B. durch das Erzählen von Geschichten mündlich, schriftlich oder visuell. Jede Methode erfordert ihre eigenen Techniken und Fähigkeiten. Ihnen gemeinsam ist, dass sie die Zuhörer:innen oder Leser:innen emotional involvieren und eine (unterschiedlich ausgestaltete) Verbindung herstellen. Will man die Zuhörer:innen oder Leser:innen länger binden, bietet es sich an, einen Cliffhanger einzubauen. Man bricht die Erzählung an der spannendsten Stelle ab und lädt damit zum Wiederkommen ein. Was schon die Minnesänger wussten, wird auch heute in Serien beispielsweise genutzt.
Phantasiereisen als besondere Form
In meinem Studium haben wir in anstrengenden Grammatikkursen immer wieder Phantasiereisen zur Festigung des Wissens unternommen. Die Lehrperson las die Geschichte vor, die das bis zu diesem Zeitpunkt Gelernte oder Erfahrene zusammenfasste. Mit geschlossenen Augen lauschten wir und fühlten uns anschließend viel fitter als davor. Phantasie- oder Traumreisen sind eine bekannte Methode zur Entspannung und aus der Psychotherapie bekannt. Sie spielen mit Bildern und Suggestionen, sie lassen die Umwelt vergessen, wenn sie gut gestaltet sind. Eine Anleitung hierzu findet sich auf dieser Seite.
Kurzformen als besondere Herausforderungen
Storytelling muss nicht lange dauern. Auch Kurzgeschichten lassen sich so erzählen – beispielsweise in Form einer Elevator Pitch oder eines Pecha Kucha. Wichtig ist dabei, wirklich auf den Punkt zu kommen und nicht um den heißen Brei zu reden.
Gerade bei diesen kurzen Methoden ist es wichtig, sofort Sinn zu stiften. Dafür bieten sich zum Beispiel die Überlegungen von Simon Sinek und seinem Golden Circle an: Wir starten nicht beim WHAT sondern beim WHY. Oder anders gesagt: Wir starten beim Konflikt und beim Dilemma, wir erklären nicht, wir lassen direkt eintauchen.
Was man hier jedenfalls beachten sollte, ist – wenn man mit PowerPoint oder ähnlicher Software präsentiert – ein ansprechendes und reduziertes Foliendesign. Hierzu bietet sich die Technik des Presentation Zen nach Garr Reynolds an, der seinerseits ein Fan von Storytelling ist:
Digital Storytelling
Digital Storytelling ist eine Ausgestaltung von Storytelling, die digitale Technologien verwendet, um Geschichten zu erzählen. Diese Methode lässt sich gut im Unterricht einbauen, um Schüler:innen zu motivieren und/oder ihre Kreativität zu fördern. So können Schüler:innen ihre eigenen Geschichten erstellen und präsentieren.
Digital Storytelling kombiniert also die Kunst des Erzählens mit moderner Technologie, wobei man nicht mehr Videoschnittsoftware, Audioaufahmegeräte oder Bildbearbeitungsprogramme braucht, wenn man alles aus einer Hand haben kann. Ulrich Hierdeis von der ALP Dillingen hat uns beim Bildungsbrunch der Bildungspunks beispielsweise für das iPad Green Screen by Do Ink gezeigt. Genauso eignet sich aber auch Canva beispielsweise oder MySimpleShow (wenn man auf künstliche Intelligenz zurückgreifen möchte).
Mithilfe von Digital Storytelling können Schüler;innen ihre eigenen Erfahrungen und Gedanken auf eine kreative und zugängliche Art und Weise zu teilen. Sie verbessern dabei nicht nur ihre Schreibfähigkeiten, sondern stärken auch ihre Medienkompetenz. Dabei ist Storytelling (allgemein betrachtet) nicht nur für die sprachlichen Fächer möglich, sondern für alle Fächer. Es geht letztlich nur darum, eine Geschichte zu einem Thema zu finden.
Ein Beispiel könnte folgendermaßen aussehen: Die Schüler:innen wählen ein Thema, das ihnen wichtig ist, und erstellen eine Geschichte, die dieses Thema illustriert. Diese Geschichte bereiten sie anschließend digital und kreativ auf – hier kann ein Storyboard helfen (z.B. erstellt mit StoryboardThat).
Mehr Ideen
- Eine gute Zusammenfassung und Handreichung zum Digital Storytelling liefert das Grimme Institut. Hier finden sich zum einen Toolvorschläge, zum anderen auch beispielhafte Erzählungen, die man sich zum Vorbild oder als Inspiration nehmen kann.
- Wer sich nicht kreativ betätigen will, kann mit Oscar auch eine KI Geschichten erzählen lassen. Diese werden von der (kostenpflichtigen) App auch gleich mit Bildern aufgehübscht.
- Eine kompakte Zusammenfassung liefert der Beitrag Seven things you should know about digital storytelling.