Vom Wert der Community

Das ILE-Netzwerk beschäftigt sich mit Innovationen und deren nachhaltiger Verankerung im Bildungssystem. Das 15. Netzwerktreffen beschäftigt sich u.a. mit Netzwerken, Communities und Transformationen. Einige Gedanken nach dem ersten Tag.

Was ist das ILE-Netzwerk?

ILE ist das Akronym für Innovative Learning Environments und basiert auf einem OECD-Projekt. Ziel ist es, verschiedene Stakeholder:innen zusammenzubringen und einen Austausch über innovative Lernumgebungen zu ermöglichen. Aus dem Projekt ist ein Framework (in The OECD Handbook for Innovative Learning Environments nachzulesen) hervorgegangen, dessen Umsetzung nun als Herausforderung ansteht. Es geht um persönliche Entwicklung der Lehrer:innen und Schüler:innen, aber auch um Schulentwicklung. Das Feld ist sehr breit und es hat sich auch in der Diskussion am ersten Tag gezeigt, dass sich das Feld durch gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und technologische Veränderungen ständig weiterentwickelt. Diese systemischen Herausforderungen sollten in Angriff genommen und auch wissenschaftlich begleitet werden, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Diesen Herausforderungen stellt sich das deutschsprachige Netzwerk.

Das Problem der Innovation

Innovationen sind wichtig, sie müssen aber auch zu Routinen werden. Mit Blick auf den Hype Cycle nach Gartner zeigt sich jedoch, dass das Implementieren und Routinisieren von Innovationen ein langer Weg ist, der zahlreiche Hürden bereithält.

Es geht nicht nur um das Tun an sich, sondern auch die Reflexion des Tuns und das Adaptieren von Lösungen. Die „One-fits-All“-Lösung oder auch eierlegende Wollmilchsau gibt es nun mal leider nicht. Der Austausch über die eigene Schulstruktur hinaus, das Vernetzen mit anderen Stakeholder:innen (u.a. aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft) kann die eigene Perspektive erweitern und den Blick über den Tellerrand ermöglichen. Damit können Inselinnovationen in einzelnen Institutionen (egal ob Schule, Hochschule oder im Bereich der Fort- und Weiterbildung) sichtbar gemacht und vor dem Hintergrund verschiedener Erfahrungen konstruktivistisch diskutiert und weitergedacht werden. Adaptionen sind möglich und notwendig – jede Institution hat ihre eigenen Erfahrungen, Praxen und Herausforderungen. Bedürfnisse und Bedarfe werden aufgezeigt und können gemeinsam bearbeitet werden. Ganzheitliche Lösungen können entstehen – jeweils angepasst an die einzelnen Institutionen.

Von der Community zum Netzwerk

Dafür braucht es Zusammenarbeit, die auf verschiedenen (formalen und informellen) Ebenen passieren kann: in Teams, in Arbeitsgruppen, in Kommissionen. Die Erfahrung zeigt, dass gerade in formalen und institutionalisierten Kontexten die Zusammenarbeit eher schwerfällig wirkt und Entwicklungen länger brauchen. Dennoch sind diese formalen Settings im Hinblick auf eine systemische Verankerung sehr wichtig. Diese formalen und institutionalisierten Gruppierungen können ihre Ideen aber aus informellen Gruppierungen schöpfen. Informelle Gruppierungen sind oftmals agiler und – da nicht institutionalisiert – auch freier. Sie können persönlichen oder professionellen Interessen entspringen – oder beiden.

Quelle: Pixabay

Ich unterscheide für mich dabei verschiedene Ebenen: Auf der Mikroebene gibt es Teams, die sich auf einer Mesoebene in einer Community zusammenfinden. Mehrere Communities bilden schließlich auf einer Makroebene ein Netzwerk. Einzelne Personen können dabei Teil verschiedener Netzwerke, Communities und Teams sein. Der gemeinsame Nenner wird dabei immer abstrakter oder konkreter, je nach Blickrichtung. Das Team arbeitet an einer konkreten Sache, verfolgt ein konkretes Ziel und ist eng verbunden. Die Community hat ein gemeinsames Interesse und ist bereits loser, mehrere dieser loseren Communities formieren dann ein Netzwerk, das den Ideen und Gedanken der Communities einen Rahmen gibt. Man denke hier an die Überlegungen von George Siemens zum Connectivism mit seinen losen und festeren Knotenpunkten. Die Communities und Netzwerke helfen letztlich beim lebenslangen Lernen, egal ob in der analogen oder virtuellen Welt. Diese Unterscheidung ist ohnehin schon längst obsolet. Der Mensch ist multisystemisch verankert. So können Gedanken top-down oder bottom-up fließen, wobei in Communities noch eine Art Moderation stattfinden kann (die in Teams durch die Aufgabenteilung „normal“ wirkt), die in eher Netzwerken fehlt. Die Herausforderung ist dabei, innovative Gedanken von der persönlichen und der Team-Ebene in den größeren Rahmen zu bringen. In einzelnen Schulen und bei einzelnen Lehrkräften sind Innovationen gut umgesetzt, diese dann in die Breite zu streuen ist die große Herausforderung.

Je heterogener, desto…

Wählen Sie selbst den zweiten Komparativ. Communities, die heterogen sind, und Netzwerke, die sich aus heterogenen Communities formieren, erscheinen vielleicht schwierig zu leiten, darum geht’s aber nicht. Sie sind autopoietisch und lenken sich selbst. Manchmal holpert es, manchmal splitten sich Teams oder Communities ab. Das entspricht aber der Agilität dieser Strukturen. So ist es in Communities und auch in Netzwerken manchmal auch schwierig, zu sagen, wer aktiv oder passiv Teil dieser Strukturen ist. Denn auch diese können fluide sein – Ausnahme (auch hier natürlich wieder) sind institutionalisierte Netzwerke oder Communities. Genauso schwierig ist es, den Impact von informellen Netzwerken und Communities zu messen. Wenn sich eine Community aus systemisch unterschiedlich verankerten Personen zusammensetzt, dann werden die Gedanken aus der Community in diese Systeme mitgenommen und umgekehrt. So treffen beim Thema Lernen und Lehren beispielsweise Gedanken zum Well-being auf politische und wirtschaftliche Herausforderung, Auswirkungen oder Rückführungen sind nicht sofort zu merken, sie sind manchmal „nur“ Impulse, die jedoch Entwicklungen auslösen oder befördern können. Wer lauter ist, wird dabei eher gehört. Wer sich einiger ist, wird ebenfalls eher gehört. Wer die „richtigen“ Personen in der Community hat, wird eher gehört.

Vage und doch konkret

Sie merken schon, meine Gedanken sind ziemlich vage, aber eben weil die Strukturen teils fixer, teils fluider, teils lose sind. Wieso ich heute das Thema aufgreife, ist das ILE-Netzwerktreffen, zu dem ich gemeinsam mit Heidi Hallier-Haselmann und Julia Thurner eingeladen wurde, um über das Twitterlehrerzimmer zu sprechen. Wir sollten einen Einblick in die Funktionsweise geben. Daran sind wir eigentlich gescheitert, vielmehr haben wir vom Spirit des Twitterlehrerzimmers gesprochen. In meiner Definition ist das Twitterlehrerzimmer eine Community, die als gemeinsamen Nennen das Thema Bildung (und damit ist eben nicht das Humboldtsche Verständnis gemeint, sondern Aus-, Fort- und Weiterbildung und Bildung allgemein) hat. Da das Twitterlehrerzimmer sehr heterogen ist – Schulleitungen, Berater:innen, Lehrer:innen, Referendar:innen, Studierende, Interessierte –, sind auch die Diskussionen breit angelegt. Mit zusätzlichen Hashtags wie #PinkEdu, #EduPnx, #BayernEdu werden innerhalb der Community weitere Communities formiert. Sie arbeiten an einzelnen Themen, sie arbeiten neben- und miteinander, nicht gegeneinander (meistens jedenfalls – aber schwarze Schafe gibt es immer und man braucht sie auch, um sich seiner eigenen Community manchmal bewusst zu werden).

Alle können und dürfen

Was wir gestern in der Diskussion am Round Table wieder deutlich gemerkt haben, ist die Bubblehaftigkeit des Twitterlehrerzimmers. Es ist außerhalb von Twitter nicht bekannt und auch die Funktionsweise ist nicht durchsichtig. Es gibt ein Hashtag #twlz (oder seltener genutzt auch #twitterlehrerzimmer), dieser ist der gemeinsame Nenner. Die Beiträge sind unterschiedliche, die Aktivität ebenfalls. Es gibt Leser:innen, es gibt Tweeter:innen, es gibt Kommentartor:innen, es gibt Retweeter:innen und es gibt Herzchen-Vergeber:innen. Alle sind willkommen. Ziel ist der Austausch und das Mit- und Voneinanderlernen. Sharing is Caring ist nicht bloß eine Worthülse – bei vielen, nicht allen. Aber in einer heterogenen Community ist das auch vollkommen normal und in Ordnung.

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Was wir auch gemerkt haben, ist die Wertschätzung, die entgegengebracht wird. Beim ersten #pnxtalk wurde das Thema bereits besprochen. Im Twitterlehrerzimmer können alle ihre Meinungen äußern und von Fehlern und vom Scheitern berichten. Es erfolgt keine Verurteilung – zumindest in der Kerncommunity. Die losen Ränder sind manchmal anders. Wer sich aber wirklich zum Twitterlehrerzimmer zugehörig fühlt, hat eine gewisse Haltung und folgt einem gewissen Spirit.

Im Twitterlehrerzimmer lassen sich Dinge über die eigene Schule oder das eigene Bundesland hinausgehend besprechen und diskutieren, das Twitterlehrerzimmer inspiriert und man bekommt neue Ideen. Das Twitterlehrerzimmer schafft aber auch den Raum für Neues. Materialien werden getaucht und gemeinsam adaptiert. Erfahrungen werden geteilt. Erprobtes wird zur Verfügung gestellt. Jede:r nimmt für sich mit, was gerade gebraucht wird. Niemand muss ein schlechtes Gewissen haben, wenn er oder sie manchmal ruhiger ist. Niemand muss oder soll, jede:r kann und darf.

Was das Twitterlehrerzimmer von einzelnen Facebookgruppen oder dem #Instalehrerzimmer unterscheidet, ist vielleicht die Tatsache, dass einige bei Instagram und Facebook auch privat sind. Bei Twitter meldet man sich privat eher weniger an, man hat eher einen professionellen Anspruch oder ein professionelles Interesse. Das ist mein Fazit auf die Frage, was das Twitterlehrerzimmer von anderen Communities unterscheidet. Das ist einer von vielen Aspekten, der für mich aber zentral ist. Es geht um die Einstellung oder Haltung und besonders die Erwartungshaltung, mit der ich mich für eine Community entscheide.

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Was das Twitterlehrerzimmer und die kleineren Communities innerhalb auszeichnet, ist aber auch der Wunsch, sich auch außerhalb von Twitter zu treffen. In Videokonferenzen aber auch bei Konferenzen, Veranstaltungen und in privaterem Rahmen. Der Bildungsbrunch der Bildungspunks ist nur ein Beispiel, die vielen Tweetups ein weiteres. Gerade bei diesen Treffen werden Knotenpunkte fester geknüpft oder neue Knotenpunkt gesetzt. Man lernt einander besser kennen und weiß, wie die anderen ticken. Man versteht dann auch Tweets besser, Missverständnisse (die sich aus der reduzierten Zeichenzahl ergeben) werden reduziert oder gar vermieden. Die Gesprächskultur verbessert sich, sie entspannt sich zumindest. Ich glaube, auch das zeichnet das Twitterlehrerzimmer aus. Man lernt so viele interessante Menschen mit so vielen interessanten Ideen kennen. Man sieht so viel. Man erkennt auch, welche Themen die am Bildungssystem interessierten Menschen gerade interessiert oder bewegt. Das ist für mich besonders wichtig. So sehe ich, welche Themen ich in meine Workshops und Lehrveranstaltungen übernehmen. Ich erkenne Bedürfnisse und Bedarfe und kann die Erfahrungen aus den Workshops und den Lehrveranstaltungen wieder an das Twitterlehrerzimmer zurückgeben. Darum geht’s für mich – den doppelten Transfer, die Heterogenität, den Blick über den Tellerrand und die Multiperspektive.

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