Dilemma: Ich habe an einem Workshop zu Wissenschaftskommunikation & Social Media teilgenommen und jetzt mehr Fragen als davor.
Helmut Jungwirth, Molekularbiologe, Science Buster, Wissenschaftskommunikator (vielleicht nicht in dieser Reihenfolge), hat heute im Zuge des Tages der Lehre an der Universität Graz zum Workshop geladen. Wissenschaftskommunikation und Social Media, mehr musste ich gar nicht lesen. Den Termin habe ich mir gleich vorgemerkt und auf den Workshop habe ich mich gefreut. Ich bin ja in Social Media selbst recht umtriebig und freue mich immer, wenn ich von anderen lernen kann. Helmuts Instagram-Kanal (letsdogabout.science) ist jedenfalls immer einen Besuch wert.
Methode
Workshop ist Workshop und ist eben Work. Als Methode zur Annäherung ans Thema war die Sechs-Hüte-Methode geplant, was mich freut, denn ich empfinde die Methode, ebenso wie die Walt-Disney-Methode, als sehr geeignet, um sich an Themen und Entscheidungen heranzuwagen. Man setzt sich verschiedene Hüte auf (oder nimmt unterschiedliche Rollen ein) und betrachtet ein Problem oder ein Dilemma oder ein Ereignis jeweils unter einem Hut. So ist man gezwungen, analytisch, emotional, kreativ, kritisch, optimistisch oder überblickend (bei den sechs Hüten) oder träumend, realistisch, kritisch (bei Walt Disney) an die Sache heranzugehen.
Dabei erfährt man mehr, als man manchmal glaubt, weil man gezwungen ist, die Perspektive zu wechseln. Ich fühle mich im emotionalen Bereich immer sehr wohl, ebenso im kreativen. Ich bin aber alles andere als optimistisch (ganz im Gegenteil) und obwohl mir diese Perspektive am schwersten fällt, ist sie meist jene, die mir am meisten Gewinn bringt. (Wer noch weitere Kreativitätstechniken sucht, wird der gleichnamigen Webseite fündig.)
Die Fragen
Insgesamt hatten wir drei Fragen(bereiche) zu diskutieren. Jeweils in Kleingruppen wurden die einzelnen Fragen(bereiche) aus den einzelnen Perspektiven beleuchtet und am Ende im und für das Plenum zusammengefasst – vom überblickenden Hut. Das durfte in meiner Gruppe ich sein und ich war froh drüber, denn auf die Fragen hätte ich selbst kaum Antworten gewusst. Das hat sich auch in unserer Gruppe gezeigt. Einigkeit oder etwas Ähnliches konnte nicht erreicht werden – was ja auch nicht der Anspruch der Methode war. Vielmehr taten sich sehr viele Fragen auf, die wir noch stundenlang hätten diskutieren können.
Hier die Fragen (ohne Unterfragen):
- Wer sollte kommunizieren und warum?
- Soziale Medien und ihr Einsatzgebiet
- Wie kommunizieren? Wissenschaftliche Neutralität vs. Emotionen
Ich möchte an dieser Stelle auch gar nicht die Diskussion zusammenfassen, die wir geführt haben, da ich auch die Kolleg:innen nicht um Erlaubnis gefragt habe. Ich möchte aber für mich ein paar Gedanken loswerden. Ich arbeite dabei die bekannten W-Fragen ab (hier aus der Perspektive der Suchmaschinenoptimierung sehr schön und überblickhaft dargestellt).
Warum sollte kommuniziert werden?
Welche Intention verfolge ich mit meiner Wissenschaftskommunikation? Möchte ich mich gut verkaufen? Möchte ich mein Wissen verkaufen? Möchte ich die Universität verkaufen? Möchte ich aufklären oder erklären? Möchte ich Menschen für mein Thema interessieren? Möchte ich der Gesellschaft etwas zurückgeben? Ist es eitel und egoistisch, wenn ich über mich und meine Forschung(sinteressen) spreche? Ist das egozentrisch, Publikationen, auf die man stolz ist, zu teilen? Fragen über Fragen, die jede:r für sich gut beantworten kann. Wenn ich aber weiß, warum ich kommuniziere, dann weiß ich vielleicht auch eine Antwort auf Fragen zwei:
Was sollte kommuniziert werden?
Es macht einen Unterschied, ob ich informieren, aufklären, erklären oder erziehen will – die Liste ließe sich sicherlich noch verlängern und ausweiten. Soll ich mein Scheitern thematisieren, wo doch auf Social Media eine Positivkultur der Emotionen (nachzulesen beim Soziologen Andreas Reckwitz) herrscht und es in der Gesellschaft noch eher selten ist, von Fehlern und dem Scheitern zu sprechen (Wie gut, dass es hier auch mutmachende Artikel wie Kunst des Versagens: Übers Scheitern zu reden ist nicht länger tabu oder Wir sollten mehr übers Scheitern sprechen gibt.)? Kann eine Themenwahl objektiv sein, wenn ich ein Thema aus vielen wähle und alle anderen Themen auslasse? Sorge ich dann nicht für einen Bias durch eine Filterblase, die ich nähre?
Wer sollte kommunizieren?
Ist an einer Universität die Presseabteilung für Wissenschaftskommunikation zuständig oder nicht doch eher für Wissenschaftsjournalismus und noch eher für Wissenschafts-PR (einen spannenden Beitrag hierzu liefert Peter Weingart in seinem Beitrag im von ihm mitherausgegebenen Sammelband Perspektiven der Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter, der als Ganzes zu empfehlen ist)? Sind es die einzelnen Wissenschaftler:innen und wenn ja, warum zeigt sich das nicht in ihrem Tätigkeitsprofil und wird als Teil ihrer Tätigkeit auch valorisiert? Und warum wird der Wissenschaftskommunikation in Berufungen oder Qualifizierungsvereinbarungen keine Aufmerksamkeit geschenkt (Ich frage hier natürlich für eine Freundin.)?
Sollte die Hochschule eine Mitsprachrecht haben, wenn ein:e Wissenschaftler:in Wissenschaftskommunikation betreibt? Oder eben nicht, weil sie es ja als Privatperson außerhalb ihres Tätigkeitsprofils und somit auch außerhalb der Arbeitszeit tut (etwas überspitzt formuliert, ich weiß)?
Wie sollte kommuniziert werden?
Welche Themen eignen sich für welche Zielgruppen? Welche sprachlichen Mittel soll ich wählen? Soll ich Stereotype verstärken, indem ich es in der Chemie rauchen und knallen lasse (Muss es immer knallen?) und damit Emotionen anspreche? Kann ich zeigen, dass Wissenschaft auch sehr fad sein kann und nicht dem Stereotypen entspricht, die in Filmen beispielsweise gezeigt werden? Darf ich der Gesellschaft zumuten, zu erfahren, dass Wissenschaft Knochenarbeit und mühsam ist und nicht nur aus Schmankerln besteht? Dass sie viel mehr aus 90% Scheitern besteht und die 10% Erfolg als solcher medial präsentiert wird? Aber wenn interessiert das dann? Warum interessiert sich in Österreich sowieso niemand für Wissenschaft (die APA hat dazu berichtet)? Was mich zur vorigen Frage zurückführt: Und was kann ich als Einzelperson dafür/dagegen tun? Als Einzelperson, die noch nicht mal gelernt hat, a) Wissenschaftskommunikation in b) Social Media zu betreiben? Was ist eigentlich Wissenschaftskommunikation?
Wo sollte kommuniziert werden?
Sind Social Media der richtige Ort, um über Wissenschaft zu sprechen? Wen erreicht man damit denn überhaupt? Wen kann man überhaupt erreichen, wenn man nicht weiß, wen man erreicht und damit nicht weiß, wie man was formuliert? Verliert die Wissenschaftskommunikation durch diese vielen Unsicherheiten nicht an Tiefe? Kann man damit die Komplexität noch aufzeigen oder erahnen lassen? Verschwindet sie in homöopathische Globuli? Muss man übertrieben lustig und effektvoll sein, Clickbaiting und Ähnliches betreiben, um in den Social-Media-Timelines überhaupt noch aufzufallen? Reicht nicht der Austausch bei Tagungen? Reicht nicht der Austausch in den Fachgruppen? Wieso sollte man sich
Wann sollte kommuniziert werden?
Da Wissenschaft mühsam ist und viel aus Scheitern besteht, man aber nicht über das Scheitern spricht, wann postet man überhaupt? Wenn eine Publikation erscheint oder man einen Vortrag auf einer Tagung hält? Und setzt damit jene unter Druck, die das nicht tun oder gerade in den Vorbereitungen sind? Wenn man ein Buch gelesen hat?
Wenn man bei einer Tagung akzeptiert ist? All those happy people auf Instagram, die nur von ihren Erfolgen berichten… Soll man das leere Blatt fotografieren und den fehlenden Schreibprozess thematisieren? Postet man um Mitternacht, wenn man die Korrekturen aus der Lehre fertig hat oder in der Bildschirmpause, die man unter Tags einlegt? Oder wenn man den zehnten Kaffee hat, damit man die Nacht durch schreiben kann?
Antworten
Ich habe keine. Ich habe nur diese und noch viele weitere Fragen. Was mir aber heute bewusst geworden ist: Ich kommuniziere. Nicht immer Wissenschaft. Oftmals einfach meine Gedanken. So wie in diesem Beitrag. Ich teile meine Gedanken und Überlegungen, weil ich sie für mich vor allem auf meinem Blog gut sortieren kann. Ich weiß auch, wo ich sie finde, wenn ich sie suche. Ich entlaste meinen Kopf damit. Jeder Blogpost ist wie ein Durchlüften. Ist eine kleine Pause für mein Gedächtnis. Ich lagere aus (oder ein). Ich freue mich, wenn meine Gedanken bei anderen ebenfalls Gedanken auslösen. Wissenschaftskommunikation ist ein Diskurs, hat Helmut Jungwirth heute erläutert. Es geht nicht darum, wissenschaftliche Inhalte, Methoden und Prozesse vereinfacht zu präsentieren. Es geht um den Diskurs. Und das nehme ich für mich aus dem heutigen Workshop mit.