In den letzten Wochen seit der Bekanntgabe, dass es ein Buch zum #EDchatDE geben wird, habe ich so einige nicht ganz nette Nachrichten dazu bekommen. Der Ton war rau. Und das war er auch auf Twitter selbst. Die Teilgeber*innen zeigten sich über die Veröffentlichung enttäuscht, verärgert, erfreut, überrascht, genervt – oder alles zusamen. Vielen waren begeistert, andere fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Weil mir selbst einige Dinge davon sehr nahe gehen, möchte ich in diesem Blog ein paar Gedanken zum Buch, vor allem aber zum Projekt, loswerden.
Vorausschicken möchte ich, dass ich hinter der Buch-Idee stand und stehe. Umso mehr, als es sich um ein Buch unter CC-Lizenz handelt, das von einem Schulbuchverlag herausgegeben wird. Ich finde diesen Versuch des Cornelsen-Verlags wirklich erstaunlich. Die Lizenz CC BY-SA bedeutet ja, dass jede/r das Buch kaufen und dann online stellen kann, solange die Lizenz eingehalten wird (CC BY-SA heißt, teilen und weitergeben und verändern unter gleichen Bedingungen). Jeder darf also die Materialien verwenden, muss aber die/ den Urheber/in nennen (inkl. Quelle zum Originaldokument) und die Lizenz (inkl. Lizenztext). Hier noch mal ein schönes, gut gemachtes Video der OER Transferstelle zum Thema:
Aber auch mir stößt einiges in diesem Projekt auf. Ich kann die Teilgeber*nnen verstehen. Ich kann sie gut verstehen. Auch ich würde mich ausgenutzt fühlen. Das Wort #Geheimprojekt ist dabei ein besonderes Reizwort. Wieso wurde die Community, die ja den Inhalt des Buches beisteuert, nicht informiert? Wieso wurde hier so ein Tamtam (beispielsweise das Werbevideo) gemacht? Nun, ich persönlich denke, dass die Geheimniskrämerei teilweise wichtig war, damit die Idee nicht von jemand anderem „geklaut“ wird. Sie ist innovativ.
Die Art und Weise, wie kommuniziert wurde, ist aber sicherlich unglücklich. Man hätte die Teilgeber*innen vorab anschreiben können. Sie informieren können, bevor man an die „gesamte“ Öffentlichkeit geht. Man hätte den Teilgeber*innen eine Ausgabe des Buches schicken können (oder das E-Book gratis zur Verfügung stellen – Danke Christine @iqberatung für diesen Anstoß). Twitternachrichten sind öffentlich. Man muss nicht angemeldet sein, um sie lesen zu können. Eine Erlaubnis, sie weiterzuverwenden, braucht es also nicht. Aber es bedarf Kommunikation. Und gerade diese Kommunikation ist mächtig in die Hose gegangen. Ich kann es nicht anders sagen. Man hätte informieren können. Man hätte aber zumindest auf die Kritik reagieren können/sollen/müssen. Hätt i-wär i – tät i. Vereinzelt wurde das gemacht, aber eben nicht von allen. Mache ich jemandem einen Vorwurf? Nein, denn wir sind alles Individuen, die individuell entscheiden können.
Wir haben uns jede*r dazu entschieden, am Buchprojekt mitzumachen. Aus unterschiedlichen Beweggründen, meine ich. Vielleicht auch nur, weil die anderen Teammitglieder mitgemacht haben. Uns wurde von den beiden Herausgebern von der Idee erzählt, vor allem von der Tatsache, dass das Buch unter CC-Lizenz stehen wird. Wir waren alle, so mein Eindruck, von Anfang an Feuer und Flamme. Ein offenes Format, ein offenes Buch, eine offene Lizenz, ein Schulbuchverlag. Es sollte ein offenes E-Book geben. Das wurde auch so zugesagt. Und irgendwie gingen wir Moderatorinnen und Moderatoren alle davon aus, dass Buch und E-Book gleichzeitig herauskommen und das E-Book kostenfrei oder zumindest bedeutend günstiger als das gedruckte Buch sein würde. Können die Teammitglieder alle so irren? Ich jedenfalls war über die Ankündigung des gedruckten Buches ohne E-Book genauso überrascht wie das übrige Team. Ich hab mich geärgert.
Wir hatten im Sommer alle innerhalb kürzester Zeit die Kapitel geschrieben. Die Auswahl der Themen und der Tweets erfolgte durch den Verlag. Unsere Aufgabe lag darin, die Tweets in einen Kontext zu bringen. Die ersten eingereichten Beiträge von Urs (@urshenning) und mir waren dabei falsch, also entsprachen nicht den Vorstellungen. Ein Missverständnis? Möglich. Ich meine aber, dass auch hier die Kommunikation nicht gestimmt hat. Wir wurden mit Informationen versorgt, aber irgendwie lückenhaft. Vielleicht wurde vorausgesetzt, dass wir alle eh das Gleiche verstehen. Vielleicht wurde im Stress übersehen, dass wir nicht alle die gleiche Wissensbasis haben. Jedenfalls gab es auch im Entstehungsprozess zahlreiche Kommunikationsprobleme. Fragen wurden beim Auftreten per Mail gestellt und beantwortet. Ich hatte immer wieder das Gefühl, ein Mail nicht gelesen zu haben. Ich hatte das Gefühl, nicht alle Mails zu bekommen.
Vielleicht hätte ein Treffen #irl (danke @ma_y für den Hinweis) oder auch ein virtuelles (via Skype oder so) geholfen. Es lässt sich nun mal nicht alles über E-Mail und Direktnachrichten auf Twitter lösen. Und manchmal ist da das geschriebene Wort auch missverständlich. Ich bin mir zwischendurch wie eine Ausführende vorgekommen. Ich dachte immer, wir seien ein Team von gleichberechtigten Erwachsenen, wo alle gemeinsam und eben gleichberechtigt an einem Buch arbeiten. Nun, ich denke nach dem Buchprojekt, wir hatten die zwei Herausgeber und die anderen, die ausgeführt haben. Im Prozess des Schreibens ist mir das so nicht aufgefallen, retrospektiv aber schon. Ich ärgere mich vor allem sehr über Mails und Nachrichten, die mir das Gefühl geben, ein Lehrling (Azubi) zu sein. Du sollst nicht… Tu nicht… Mach… Ignorier… Und ein individuelles Vorgehen wird verurteilt. Außer es kommt von den Herausgebern. So haben wir als Team beispielsweise vom Werbefilm nichts gewusst. Idee und Umsetzung sind absolut genial. Eine kurze Info hätte gereicht. Ich hätte nichts dagegen gehabt.
Wir sind Individuen. Wir sind Teilgeber/innen. Wir sind ein Team. Nicht nur die Moderator*innen und die Übersetzer*innen und die Tweetsammler*innen. Wir alle. #EDchatDE lebt von der Community. Er lebt von unseren individuellen Ansichten und Ideen und Erfahrungen. Und ich finde es schade, dass es jetzt so was wie eine Lagerbildung gibt. Es allen rechtzumachen, funktioniert nie. Aber Kritik zu ignorieren, funktioniert auch nicht. Deshalb finde ich die Rezension von Philippe Wampfler (@phwampfler) und den Blogpost von Matthias Förtsch (@herr_foertsch) so schön. Sie zeigen, dass Kritik gut ist, dass man Kritik ernst nehmen soll. Dass man sich auch auf Diskussionen einlassen soll. Man kann daraus lernen. Und (Danke Peter @JochumPeter, weil du es gesagt hast) ich denke, wir sollten das Buch als Lernprozess sehen. Mit allen positiven und negativen Erfahrungen und Aspekten. Das nächste Mal machen wir es besser. Aber wisst ihr: Das Buch ist gut, denn wir erreichen damit viele, die wir sonst nicht erreichen können. Die Kapitel sind kurz und gut lesbar. Sie ermöglichen auch jenen, die wenig mit dem Thema zu tun haben, einen Einblick. Durch das offene Format können die Materialien auch für die Lehre und den Unterricht sowie für Fortbildungen verwendet und adaptiert werden. Das war meine Motivation, am Buch mitzuarbeiten.
Ich werde deshalb meine Kapitel, wie Monika (@M_Heusinger) es am Blog gemacht hat, auch noch öffentlich zur Verfügung stellen. Sobald geklärt ist, wie ich sie genau attribuieren muss. Und am liebsten zum OER-Festival am 31. Mai in Graz.
PS: Eines muss ich noch erklären: Im Verzeichnis der Teilgeber*innen am Ende des Buches stehen nur jene, deren Tweets nicht direkt (mit Bild, Name, Text und Datum) eingefügt sind. Also: Wenn ihr hinten nicht drinnen steht, dann heißt das nicht, dass eure Ideen und Beiträge nicht übernommen wurden. Danke Judith Erlmann (@juerlb) für diese wichtige Klarstellung!
"Twitternachrichten sind öffentlich. Man muss nicht angemeldet sein, um sie lesen zu können. Eine Erlaubnis, sie weiterzuverwenden, braucht es also nicht." ist schlichtweg falsch. Ob ein einzelner Tweet eine ausreichende Schöpfungshöhe besitzt, muss man im Streitfall jeweils Tweet für Tweet abklopfen, eine Abfolge von Tweets innerhalb einer Diskussion ist jedoch immer urheberrechtlich geschützt.
Übrigens ist ein Großteil des Internets öffentlich. Und nun?
Da ich keine eigene Rezension verfassen möchte, werde ich meine Gedanken einfach an deinen (gelungenen) Post als Kommentar anhängen:
1) Die "Geheimprojektuerei" rund um den #edchatde hat mich am Anfang gestört (das gab es ja auch vor dem Buch schon öfter), inzwischen ignoriere ich es, weil ich es ein wenig kindisch finde. Der #edchatde betont ja immer wieder, dass er ein offenes Format ist, aber in den Kernfragen haben die Founder das Sagen (und wie das Video zeigt, schmücken sie den edchatde mit ihrem Gesicht). Klar, wer die Musik bestellt hat, bestimmt auch was gespielt wird, aber dann ist es eben kein offenes Format. In einem offenen Format muss ich damit rechnen, dass Ideen evtl. auch geklaut werden. Wie realistisch diese Sorge ist, weiß ich nicht. Mit Sicherheit hätte es die Planung und Realisierung des Buches nicht einfacher gemacht, denn all die Diskussionen, die nun hinterher entstehen, wären dann im Vorfeld gelaufen. Durch die Geheimhaltung ist die "Befehlskette" schlank gehalten worden und hat mit Sicherheit vieles einfacher gemacht.
2) Twitternachrichten sind öffentlich
Zu der ganzen Rechtsdiskussion ob man die ganzen Tweets (und die Profilbilder) nun hätte verwenden dürfen oder nicht mag ich keine Einschätzung abgeben. Ich bin an dieser nur über deine Formulierung gestolpert, dass die Tweets ja offentlich sind und darum verwendet werden dürfen. Die Bilder aus Marions Kochbuch waren auch öffentlich einsehbar, und dennoch gab es massenweise Abmahnungen seinerzeit.
3) Die CC-Lizenz/OER
Mir kommt die Verwendung der CC-Lizenz für dieses Buch zur Zeit noch ein bisschen wie ein Marketinggag vor. Das Buch kann man derzeit nur käuflich erwerben, sowohl als Print, als auch als eBook. Noch hat sich (außer einiger Autoren) auch noch niemand getraut, das gesamte Buch online bereitzustellen. Das Einscannen des Buches wird wohl kaum jemand auf sich nehmen. Wäre das Buch also nicht als cc veröffentlicht, wir würden bisher keinen Unterschied merken.
4) Die Links
Das Buch wurde (u.a.) auch veröffentlich, um einige Offliner einzusammeln, die bisher noch nicht auf dem Weg in eine digitale Zukunft sind. Ob man die allerdings mit ellenlangen Links, die mühsam abgetippt werden müssen, eingesammelt werden können … ich habe da meine Zweifel. Selbst in meiner Kochzeitung sind Links zu Rezepten mit kurzen Shortlinks und QR-Codes gelöst.
Ich bin gespannt, ob das Konzept des Buches funktioniert. Dazu würde ich gerne mal die Rezension eines echten Außenstehenden lesen. Bringen ihn diese kurzen Anrisse zu einem Thema weiter? Ist er bereit, immer wieder Links abzutippen, um mehr zu erfahren? Auch bei Amazon ist ja bisher nur die Rezension von Phillipe Wampfler zu finden.
Ich finde das Buch insgesamt ein interessantes Projekt. Es steckt viel Arbeit drin, für die den Autorinnen Lob und Anerkennung zusteht. Einen großen Mehrwert sehe ich für mich persönlich zu den Chatprotokollen nicht. Ich bin gespannt von Rückmeldungen außerhalb der Filterblase.
Und danke nochmals für deine ehrliche Renzension!
Der geeignetste Ort wäre doch die https://edchatde.wordpress.com – oder nicht?
Ich weiss gar nicht, seit wievielen Jahren und wie oft ich schon über Kommunikations- und andere Kompetenzen gelesen habe. Und ich habe rein gar nichts dagegen, dass sämtliche Informationen, die ich auf irgend eine Art und Weise dem sogenannten Internet übergebe, irgendwie verändert, geteilt oder was immer werden können.
Und nun, 2017, lese ich, gelegentlich im #edchatde Teilnehmenden, die Entschuldigung: "Die Art und Weise, wie kommuniziert wurde, ist aber sicherlich unglücklich. Man hätte die Teilgeber/innen vorab anschreiben können. Sie informieren können, bevor man an die „gesamte“ Öffentlichkeit geht." – und frage mich: "Hört denn das nie auf?"
Ohne auf Einzelheiten einzugehen: Vieles wäre harmonischer verlaufen, wenn wir uns alle für einen Tag oder gar ein Wochenende irgendwo getroffen hätten. Die Schwierigkeit der Termin- und Ortsfindung, der Aufwand der Reise wurde gespart, weil man meinte, dass das schon alles virtuell funktionieren werde – wir sind ja alle erfahren ("irgendwie").
So wunderbar das Internet ist – es ersetzt kein persönliches Treffen in Zeit und Raum.