Social Media-Kanäle sind doch was Feines. Sie bieten Information, Unterhaltung und Abwechslung. Und gleichzeitig sind sie doch auch ganz böse, den sie liefern Information, Unterhaltung und Abwechslung. Wie jetzt?!? Angeregt durch einen einfachen Tweet und eine längere gebloggte Antwort ein paar Zeilen über das Lehrerdasein in einer „digitalen“ Welt.
Ist das hier nicht irgendwie in den letzen Jahren zu einer lauten Ausmerksamkeitsschleuder verkommen? Brauchen wir Twitter noch?
— Felix Schaumburg-Blum (@schb) January 15, 2017
Nun, wir leben in einer Filterblase, in der Nachrichten für uns vorsortiert werden. Wir folgen bestimmten Menschen, die wir uns aussuchen. Und jenen, die die Social-Media-Kanäle für uns aussuchen.

In Listen, Gruppen oder Kreisen können wir für uns eine eigene Auswahl treffen. Um aus dem ausgefilterten zu filtern, brauchen wir Kompetenzen. Die 4Cs (Critical Thinking and Problem Solving, Comunication, Collaboration und Creativity) zum Beispiel. Oder auch andere. Wir müssen lernen, relevante von irrelevanten Nachrichten zu unterscheiden. Ebenso die wahren von den falschen. Fake News, Lügenpresse… Alles Schlagworte der letzten Zeit, die Teil unserer Lebensrealität geworden sind. Wem können wir glauben, wenn wir nicht mal mehr sicher sein können, dass die Nachrichten, die wir lesen, auch wirklich von Menschen und nicht von sogenannten Bots geschrieben sind. Denkt mal an de Blahfaselgenerator (aktualisiert einfach euren Bildschirm). Ich finde, er ist nach wie vor ein gutes Beispiel für leere Worthülsen, die sich in so mancher populärwissenschaftlichen Publikation finden. Digitale Demenz als Schlagwort…

Und Lehrpersonen müssen sogar noch einen Schritt weiter gehen. Sie müssen sich zusätzlich die Kompetenz aneignen, derartige Kompetenzen zu vermitteln. Sie müssen Settings schaffen, um Medienkompetenzen zu schulen und zu stärken, zu entwickeln und zu fördern. Dafür müssen sie sich diese Kompetenzen aber selbst aneignen. Und vieles kann man sich dabei nicht einfach anlesen. Eine gewisse didaktische Kompetenz liegt in unserem Genpool – oder eben nicht, wie Sir Ken Robinson richtig zeigt.
Sir Ken Robinson stellt das Schulsystem infrage, dem sicherlich einige Reformen nicht schaden würde. Nicht selten stellen sich aber vor allem die Lehrer/innen infrage. Wir stellen uns und unsere Fähigkeiten in Frage. Wir stellen vielleicht sogar die Sinnhaftigkeit unseres Tuns infrage oder auch uns als Persönlichkeiten. Lehrer/innen haben es doch leicht. Sie nehmen das Schulbuch, schlagen es dort auf, wo sie es in der letzten Stunde geschlossen haben, überlegen sich – der bekannten Schwellenpädagogik folgend – beim Eintritt in die Klasse, wie die folgende Stunde verlaufen wird. Frontalunterricht oder Stillarbeit inklusive. Oder? Nicht?!? Vielleicht schnappen sie auch ihr iPad und lesen von diesem die Unterrichtsinhalte vor. Auf Twitter habe ich dazu gerade eine spannende Diskussion gelesen. Ausgelöst von einem kurzen Tweet, keine 140 Zeichen, von Lisa Rosa (@lisarosa).
Jetzt beginnt die Zeit der Karrieristen #digitalisierung #digitaleBildung Hütet euch davor.
— Lisa Rosa (@lisarosa) January 10, 2017
Ja, solche Lehrer*innen mag es geben. Das kann man nicht leugnen, das kann man nicht schön schreiben. Aber es gibt auch schief schneidende Friseur*innen und Bücher hassende Bibliothekar*innen.

Gegen diese Windmühlen oder gar nur ihr Abbild kämpfen sie dann, die Einzelkämpfer/innen. Die Enthusiasten und Enthusiastinnen, die das Gute und Innovative sehen. Die sich für die Schüler/innen interessieren, denen die Sache am Herzen liegt. Wie Don Quijote kämpfen sie gegen Chimären an. Oder auch Sirenen. Dann wären sie aber Odysseus. Und so mancher Weg gleicht wohl wirklich einer Odyssee. Sie leisten viel, doch fehlt die Anerkennung. Beispiele gefällig?
- Das Team hinter dem #EDchatDE steckt viel Freizeit und Leidenschaft in die Sache und wird dennoch immer öfter durch Trolle angegriffen. Sie nörgeln, sie provozieren und liefern wenig Konstruktives. Sie sind jedenfalls Realität.
- Ein einzelner organisiert seit Jahren Webinare, mittlerweile Globinare, an denen Interessierte aus der ganzen Welt teilnehmen. Jede Woche, mehrfach. Und dazu kommt nach jedem Webinar ein nachbereitendes Mail mit allen Materialien und der Webinar-Aufzeichnung. Und dazu kommt auch ein für Fremdsprachenlehrende beinahe unverzichtbarer Newsletter. Danke, Jürgen, für deinen Einsatz und die Zeit, die du in uns steckst.
- Und dann gibt es all jene, die sich dagegen aussprechen, dass immer nur über Tools gesprochen wird. Und nicht über die Methoden und die Lernziele. Wohin will ich? Was sollen meine Schüler/innen können? Was sollen sie wissen? Was sollen sie aus dem Unterricht mitnehmen? Diese Fragen entscheiden über die Wahl der Methode und diese wiederum beeinflusst die Wahl des Werkzeugs. Ob analog oder digital. Ob klassisch oder ausgeflippt. Das Lernziel legitimiert die Methode legitimiert den Werkzeugeinsatz. Und nicht umgekehrt. Danke, Thomas, für deine Inspiration in diesem Feld, die du mir von Anfang an hast zukommen lassen. Thanks, Alastair, for your incredibly critical and inspiring thoughts.
- Und dann gibt es noch diejenigen, die mit scheinbar lustigen Sprachspielen die Welt ausdrücken. Aphorismen, von La Bruyère, La Rochefoucauld, Nietzsche bis hin zu Bob Blume, beleuchten die Welt kritisch, hinterfragen das System, stellen es infrage, rütteln und wecken auf. Und vielfach werden sie dafür eher gescholten, wenig verstanden, infrage gestellt. Und dennoch lassen sie in uns einen Funken, der uns die Augen öffnet, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen.
Einige zerreiben sich am System, einige reiben sich auf, bleiben aber dennoch. Viele sind Lehrer/innen oder waren es, die immer noch an eine Sache glauben. Und am wichtigsten ist es wohl, an wirklich eine Sache zu glauben: sich selbst. In all der Geschäftigkeit der Zeit vergessen wir nicht selten auf uns. Wir netzwerken, setzen im Sinne des Konnektivismus Knotenpunkte, vernetzen uns zunehmend. Nur eines sollten wir dabei nicht vergessen: Uns selbst. Und manchmal braucht man ein Netzwerk, das uns zurückholt, uns auffängt und uns daran erinnert, was wir wert sind und was wir leisten.

Ich lege hier mein Netzwerk, das Netz, das mich auffängt, nicht namentlich offen. Es fühlt sich auch so angesprochen. Es sind eine Hand voll Freund*innen (sowohl in den sozialen Netzwerken, in denen ich aktiv bin, als auch im realen Leben), die sich dafür die Zeit nehmen. Sie sind es, die uns und vor allem mir die Kraft und Energie geben, gegen die Windmühlen zu kämpfen, die Eisberge zu umschiffen, mit gutem Beispiel voranzugehen, neue Wege zu gehen und weiterzumachen. Sie holen mich aber auch immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn ich den Sirenen zu erliegen drohe. Und es sind auch die Schüler*innen und Studierenden, die einem so viel zurückgegeben und von denen wir so viel lernen (können).