Seien wir ehrlich: Unser Alltag hat sich in den letzten Jahren verändert. Auf den unterschiedlichen Social Media-Kanälen lesen wir davon, dass wir in einer anderen Generation aufgewachsen sind, viel draußen gespielt haben und unser Leben ohne Smartphone und Internet, dafür mit einem Vierteltelefon, das immer besetzt war, und der Möglichkeit, bei seinen Freundinnen und Freunden und Verwandten jederzeit vorbeizuschauen. Manchmal eben ohne Erfolg.
Gleiches trifft wohl auf das Lernen zu. Es ist anders, muss anders sein. Wir können theoretisch immer und überall lernen, aus bzw. mit unterschiedlichen Quellen. Wir können nachschlagen, wenn wir etwas nicht wissen. Wir finden immer und überall Unterhaltung. Und gleichzeitig lenkt uns das vom Lernen ab. Also vom vorgegebenen (formalen) Lernen. Sir Ken Robinson zeigt in einem seiner zahlreichen Talks sehr deutlich, wie sich das Schulsystem jedoch eben nicht verändert hat.
Er bereitet den Inhalt beinahe populärwissenschaftlich auf, polarisiert sicherlich. Dennoch steckt ein Fünkchen Wahrheit dahinter. Wir trainieren auf standardisierte Tests, die Kreativität geht dabei oft verloren, oder wird zumindest in den Hintergrund gedrängt. Uns wird vorgegaukelt, es gäbe nur eine richtige Lösung. Entweder-Oder, Schwarz-Weiß, Richtig-Falsch. Doch was liegt dazwischen? Wie viele Wege gibt es, sich einer Frage oder Problemstellung anzunähern? Ersticken wir im Unterricht wirklich die Kreativität, wie Sir Ken Robinson sagt? Bis zum einem gewissen Grad sicherlich schon. Und gleichzeitig werden wir über unsere Art und Weise, uns zu informieren, in eine Filterblase gesteckt. Wir scrollen durch Social Media-Kanäle, lesen oftmals nur die Headlines, entscheiden vielleicht aufgrund der Länge eines Beitrags darüber, ihn zu lesen oder nicht. Und dabei werden wir leicht abgelenkt („Learning in The Age of Digital Distraction„). Formales Lernen trifft auf informelles Lernen. Lernen kann generell immer und überall passieren.
Die Quellen, die wir durchscrollen, ansehen oder auch lesen, werden durch unterschiedliche Algorithmen in unsere Timelines gespielt. Wir haben das Gefühl, sie selbst auszusuchen, dabei fallen wir einer Vorauswahl zum „Opfer“, die Vielfalt geht verloren.
Und wir sind uns dessen vielleicht gar nicht bewusst. Sollten wir aber. Und wir sollten uns darüber unterhalten. Wir sollten als Lehrpersonen gezielt darauf hinweisen. Aber eigentlich mussten wir das schon immer. Medien sind nicht immer objektiv, maximal objektiviert. Egal ob Printmedien, hinter denen Verlage, Parteien oder andere Einrichtungen stehen, oder Fernsehsender, die einer größeren Medienfirma angehören, oder auch das Internet. Immer schon mussten wir Medien, ihre Beiträge und Quellen bewerten. Die Vielfalt war kleiner, die Zugänglichkeit ebenfalls. In einem Haushalt gab es eine Tageszeitung und nicht unendlich viele, wie heute. Es gab einige wenige Fernseh- und Radiosender. Und es gab wenige Presseagenturen, die die Inhalte, die Bilder und Texte, lieferten. Dessen waren wir uns vielfach nicht bewusst. Wir wurden aber schon damals „manipuliert“. Heute werden wir darauf hingewiesen. Und es ist auch nötig. Weil es viel mehr Möglichkeiten der Manipulation von Materialien, wie Bildern, gibt, die viel mehr Menschen (und nicht mehr nur einigen wenigen Spezialistinnen und Spezialisten) zugänglich sind. Weil wir eben nicht hinterfragen, nicht kritisch genug sind, uns nicht die Zeit nehmen, etwas in die Tiefe zu lesen. Je reißerischer, desto eher erhält man die Aufmerksamkeit. Man denke hier an die Überschriften der Huffington Post (und eine knappe Analyse dazu und eine zweite ausführliche, die dem Phänomen auf den Grund geht). Oder aber an Satirezeitschriften, die sich doch großer Beliebtheit erfreuen (ob sie von allen als solche erkannt werden, kann ich nicht sagen).
Wir brauchen die notwendigen Kompetenzen, um Relevantes von Irrelevantem zu trennen, um Quellen nach wahr und falsch zu bewerten, um unser Leben zwischen dem Virtuellen und dem Realen zu organisieren. Und das sind nicht unbedingt digitale Kompetenzen (wie definiert sich hier denn übrigens „digital“?)…
Das Problem an #DigitalerBildung ist (neben dem Begriff), dass sie sich an Apps und nicht am Lernen oder gar Bildung orientiert.#edchatde
— Axel Krommer (@mediendidaktik_) September 3, 2016
In diese Kerbe schlägt auch Gerhard Brandhofer (@rationalekritik) in einem Interview, das gestern in der österreichischen Tageszeitung Der Standard erschienen ist. Er hat Recht. Das hatte auch Bob Blume (@blume_bob) in seinem Blogbeitrag Kleine Kritik am digitalen Diskurs.Wenn von den 4Cs (Critical Thinking and Problem Solving, Collaboration, Communication und Creativity) die Rede ist, dann sind das zwar die sogenannten 21st century skills, oftmals auch als digital literacy bezeichnet oder zumindest in ihrem Umfeld erwähnt, doch sind es Kompetenzen, die wir auch im 20th und im 19th century benötigt haben. Vielleicht war es damals selbstverständlich…. Vielleicht hat man auch nur nicht darüber gesprochen… Und als letzten Gedankenanstoß ein Tweet von A.R. Krommer (@mediendidaktik_):
Zur #Medienkompetenz gehört auch die Fähigkeit, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, wenn man etwas im Netz NICHT findet.#edchatde
— Axel Krommer (@mediendidaktik_) September 1, 2016