Auch schon geghostet worden?

Social Networks bieten vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung, aber auch neue Wege der Kontrolle und des Verschwindens.

Ich oute mich mal: Ich bin in der Vor-SMS-Zeit aufgewachsen und habe noch so kleine Briefchen bekommen: Willst du mit mir gehen? Darunter ein großes Kästchen mit JA und ein Mini-Kästchen mit NEIN. Man entschied sich für das eine oder andere oder ergänzte um ein mittleres Kästchen: VIELLEICHT. Wer sich an diese Zeit erinnert, der erinnert sich auch daran, dass man die Menschen damals wirklich kannte – zumindest jene, mit denen man Kontakt hatte. Man telefonierte, man traf sich und wenn jemand zu einer Verabredung nicht kam, dann sprach man ihn einfach beim nächsten Wiedersehen darauf an. Wollte man jemandem aus dem Weg gehen, so passierte dies in der realen Welt, klappte aber nicht immer, vor allem wenn das Gegenüber deine Tagesroutine, bei uns war es der Busfahrplan, kannte.

Wir haben damals in der – nennen wir es – nicht-virtuellen Welt gelebt, von der virtuellen Welt wussten wir nichts. Wir waren stolz, Altavista zu kennen und konnten kaum abwarten, bis es 18:00 Uhr schlug, denn ab da hatten wir die Möglichkeit ins Internet – kostenfrei. Vorausgesetzt, es wurde kein wichtiges Telefonat erwartet. Unsere Welt, unser Interaktionsspielraum war eingeschränkt. Auf Partys wurden kaum Fotos gemacht und wenn dann war der Nervenkitzel beim Entwickeln groß, ob die Fotos denn auch was geworden waren. Außerdem dachte keiner daran, eine Party zu dokumentieren. Wir lebten im Moment – carpe diem oder so ähnlich. Es gibt wenige Dokumente dieser Zeit, außer vielleicht die Erinnerung. [Funfact am Rande: In der Kleinen Zeitung gab es vor einigen Tagen eine Fotostrecke zu den 90ern – ich war fast geneigt, meine Trolle und Schnuller rauszusuchen, dazu dann die MiniDisc, denn mit einem DiscMan gab ich mich nicht zufrieden.]

Heute leben wir in zwei Welten – der virtuellen und der nicht-virtuellen. Vielfach stilisieren wir uns, posten Selfies, die zeigen, wie gut es uns geht. Es gibt auch hierzu mittlerweile einige Fotostrecken, die den Bias von Realität und Fiktion (z.B. auf Instagram – gleich noch ein zweites Beispiel) aufdecken. Vor einiger Zeit habe ich den Fachbegriff dazu kennengelernt: Gatsbying – wir wollen andere beeindrucken – self-presentation deluxe, wie schon Kaplan und Haenlein 2010 in ihrer Social-Media-Taxonomie beschreiben. Es gibt viele dieser neuen Begriffe, die mir fremd vorkommen, weil ich mich damit nie wirklich beschäftigt habe: jemanden friendzonen, Micro-Cheating, Love-Bombing. Die Phänomene sind alte, so denke ich, heute hat man dafür trendige Namen.

Gerade Social Media haben klar neue Möglichkeiten geschaffen: Influencer*innen sind echte Vorbilder, die sich volksnah zeigen. Sie integrieren die Peer Group, sie zeigen Nähe, setzen auf Interaktion. Sie stilisieren sich – sie beeinflussen. Und das beinahe unbegrenzt. Hatte ich früher die Möglichkeit Bravo oder Rennbahn Express zu lesen (inkl. redaktionellem Filter), so bekomme ich heute Videos auf YouTube oder Stories auf Instagram hautnah, ohne Filter, ohne Kontrolle. Ich kann Menschen googeln, bevor ich mit ihnen interagiere und finde dabei so manch spannendes Detail heraus – Ego Surfing ist manchmal sehr hilfreich, wenn man wissen will, was die anderen so von einem wissen könnten. Stalking ist ein aktuelles Phänomen: Schalte ich den Standort nicht aus, wissen meine Freund*innen auf Snapchat, wo ich mich befinde, Ähnliches gilt für Facebook und Instagram. Bilder können geteilt und gescreenshotet werden. Ich habe oftmals nicht in der Hand, wer von mir was postet, wenn ich nicht verlinkt werde, dann merke ich es nicht einmal. Klar gibt es das Recht am eigenen Bild (§78 UrhG in Österreich) – aber wer hält sich schon wirklich daran? Ich möchte nicht wissen, auf wie vielen Snaps ich schon verschickt wurde, ohne es zu merken. Wenn ich mich in Social Media bewege, dann kann ich steuern, was ich teile, aber nicht, was über mich geteilt wird. Menschen können sich über mich informieren – tun sie es intensiv, kann man von Stalking sprechen. Die Ausmaße können dabei erschreckend sein – siehe dieses Beispiel (ob wahr oder nicht – ich habe es nicht recherchiert, aber es ist möglich).

Quelle: Pixabay

Das Gegenteil zum Stalken ist dann wahrscheinlich das Ghosten – man bricht den Kontakt zu jemandem einfach ab. Man löscht seine Social-Media-Accounts oder stellt die Privatsphäre rigoros um, man verwischt seine Spuren – fast wie in einem Zeugen-Schutzprogramm: neue Mail-Adresse, neue Handynummer, neuer Account auf Social Media. Man ist für seine Filterblase, ich möchte die Social Community nicht unbedingt als Freund*innen bezeichnen, wie ausgelöscht. Neue Möglichkeiten der Beziehungspflege… Wir hatten neulich eine Diskussion auf Twitter, ob wir eher E-Mail-, Messenger- oder Anruf-Typen sind…

Wo tun Sie sich leichter beim Ignorieren? E-Mail und Messenger geht ganz gut? Wie sieht es bei Anrufen aus?

Ich hab das Gefühl, dass die heutige Generation mit vielen neuen Phänomenen zu kämpfen hat, die wir nicht kannten und auf die wir sie nicht vorbereiten können. Digitale Kompetenz heißt auch, mit Phänomenen in beiden Welten klarzukommen: Mobbing und Cybermobbing als ein Beispiel. Ist das Erwachsenwerden schwieriger geworden? Ich habe keine Antwort darauf. Ich denke nur, dass danah boyds Buch It’s complicated nach wie vor eine Lektüre wert ist und in einigen Phasen des Lebens – egal ob in der Pubertät oder danach – beide Welten eine Herausforderung darstellen, auf die wir nur reagieren können. Denn selbst wenn ich mich von Facebook und Co fernhalte, so heißt das nicht, dass ich dort nicht zu finden bin, wenn meine Freund*innen dort aktiv sind. Bewusstseinsbildung ist wichtig – wie aber bilde ich ein Bewusstsein für etwas, von dem ich nicht weiß, dass es auf mich zukommt?

Als ich das erste Mal (von einem vermeintlich guten Freund, den ich schon eine Ewigkeit #irl kannte, aber aus den Augen verloren hatte) geghostet wurde, ging es mir genau so. Ich suchte den Fehler bei mir, verstand die Welt nicht – wieso brach jemand den Kontakt zu mir von heute auf morgen (vermeintlich) ohne Anzeichen (wer nach den sieben Anzeichen einer virtuellen Liebesbeziehung sucht, ist bei Instyle gut aufgehoben) einfach ab? Heute weiß ich, dass hier viele Aspekte zusammenspielen und man eine Situation in der virtuellen wie in der nicht-virtuellen Welt aus mehreren Perspektiven betrachten muss. Man kann in Menschen nicht hineinschauen, auch wenn man das Gefühl hat, sie aus Facebook und aus Twitter (sorry, für das Lied, das musste ich verlinken) zu kennen. Ich thematisiere Ghosting also mittlerweile auch in meinen Fortbildungen zu Social Media – als ein Phänomen unter vielen, gleich neben Sexting, Cyber Grooming und Gatsbying… Und laufend kommen neue dazu…