Noch bevor ChatGPT sich aufmachte, die Bildungswelt durcheinanderzubringen, fand das erste mediendidaktische Kamingespräch in Graz statt.
ChatGPT kann aktuell gut Texte schreiben, die eine überschaubare gedankliche Tiefe besitzen, aber einen guten Ein- und Überblick in ein Thema geben. Das reicht manchen vielleicht schon. Gerade in der Wissenschaft aber setzen wir uns mit Texten kritisch auseinander. Wir schauen tief unter die Oberfläche, wir blicken kritisch auf Stärken und Schwächen, Genauigkeiten und Ungenauigkeiten, wir suchen Widersprüche. So funktioniert die kritische Textarbeit. Ich ertappe mich nicht selten dabei, dass ich auch in meiner Freizeit, wenn ich einen Text aus purer Muße lese, nicht aufhöre, mich an formalen und inhaltlichen Ecken und Kanten zu stoßen. Das kann ChatGPT noch nicht, wenngleich der Chatbot in der Lage ist, Texte stilistisch und orthographisch zu glätten und auch zu erklären, warum Veränderungen vorgenommen werden. Das ist hilfreich oder kann hilfreich sein.
Mündlichkeit vor Schriftlichkeit
In der Diskussion um ChatGPT wurde – aufgrund der Stärken des Chatbots auf schriftlicher Ebene – überlegt, bei Prüfungsleistungen und ähnlichem verstärkt auf Mündlichkeit zu setzen (als Beispiel). Es sollte darum gehen, die Inhalte von Texten und Referaten auch zu besprechen bzw. Fragen zu stellen, die die Oberfläche verlassen und in die Tiefe gehen, um zu sehen, ob der Inhalt auch verstanden wurde.
In meinem Verständnis hätten wir das immer schon tun sollen. Schwafelei und oberflächliche Texte finden wir (so zumindest mein Eindruck) oftmals. In Arbeiten werden die leeren Seiten mit Wiederholungen, leeren Worthülsen, Füllungen und vielen Zeichen aber wenig Inhalt gefüllt. Das klingt jetzt vielleicht böser, als ich es meine. In kurzer Zeit viele Lehrveranstaltungen zu absolvieren, das Studium in Mindestzeit zu beenden, nebenbei zu arbeiten und sich den Lebensunterhalt selbst verdienen. Studieren ist vielleicht nicht (mehr) das Studierendenleben, das man sich so vorstellt. Ich hatte am Beginn meines Studiums schon irgendwie den Traum, dass man sich im Kaffeehaus oder in einem Park trifft, um über Gott und die Welt oder Habermas und Foucault oder Luhmann und Bourdieu zu diskutieren. Nicht, dass wir das nicht gemacht hätten, aber in einem output-orientierten System, in einer Leistungsgesellschaft bleibt für derartige gedankliche Muße weniger Zeit. Oder anders: Man optimiert sich selbst und nimmt sich die Zeit für derartige Muße nicht. Ich persönlich finde das schade.
Mein Ausweg: Kamingespräch ohne Kamin
Ich genieße es, mit Studierenden und Kolleg:innen zu diskutieren und nehme da auch gerne mal die Rolle des Advocatus diabolus und damit eine Position, die meiner persönlichen Meinung widerspricht, ein. Mir liegt es am Herzen, dass „meine“ Studierenden (als zukünftige Lehrer:innen und als mündige Bürger:innen) lernen, „outside the box“ zu denken. Nicht was der Lehrperson gefällt oder ihrem Ansatz entspricht, wird (z.B. in Hinblick auf Lernunterlagen) produziert. Parameter wie gesellschaftliche Relevanz und didaktische Reflexion sollten im Vordergrund stehen. Dazu gehört eine kritisch-reflektierte Haltung, die es zu trainieren gilt. Das haben auch die Studierenden erkannt und sich einen Austausch gewünscht.
Aus diesem Grund und weil wir in diesem Studienjahr einen Lehrschwerpunkt MedienWelt Romania am Institut für Romanistik gesetzt haben, begleiten mediendidaktische Kamingespräche das Lehrangebot des Studienjahres. Dabei kommt es nicht auf den Kamin an, sondern das Gespräch. Man könnte die Veranstaltung auch Lesezirkel nennen. Ich mag aber das atmosphärische Bild eines knisternden Kamins. Als Kamingespräch bezeichnet man ein informelles Treffen, bei dem ein vorgegebenes Thema besprochen und diskutiert wird. Die an diesem Gespräch beteiligte Gruppe ist dabei eher klein, damit sich auch jede:r am Gespräch beteiligen kann. Ziel ist es, in einer ungezwungenen Atmosphäre ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und dabei kritisch zu sein oder bleiben.
Im Oktober 2022 fand das erste Kamingespräch in einer Buschenschank in der Nähe von Stainz statt – ohne Kamin aber mit Holzofen wurde über die Frage „Wozu Literatur?“ im Sprachunterricht diskutiert. Das zweite Kamingespräch im Jänner 2023 in einem Café in Graz beschäftigte sich mit dem Zusammenhang von Literatur, Kompetenz(orientierung) und Bildung. Im Vorfeld wurde hierfür jeweils ein mediendidaktisch orientierter Text zur Vorbereitung verschickt, der beim Gespräch gemeinsam besprochen wurde. Dabei wurden auch praktische Implikationen für den schulischen Unterricht abgeleitet und der Bogen von Peter Fox zu Walther von der Vogelweide gespannt. Beim Austausch im März 2023 geht es um das Thema Spielen in einem weiten Sinne.
Informell in die Tiefe
Was ich so schätze an diesem Format sind tatsächlich die Ideen, die sich während des Gesprächs ergeben. Es ist nicht leicht, sich einen Text durchzulesen und dann verschiedene Details herauszugreifen, Inkonsistenzen aufzuzeigen und sich nicht vom Namen des oder der (bekannten) Wissenschaftlers/Wissenschaftlerin abschrecken zu lassen. Menschen sind Menschen. Sie sind subjektiv, auch wenn sie versuchen, objektiv zu sein. Und sie können sich auch irren. Meine Rolle ist dabei, den Text zu suchen und anfänglich Fragen zu stellen, die Gesprächsteilnehmer:innen ein wenig aus der Reserve zu locken. Eine wirklich sehr dankbare Rolle. Und vor allem eine, die mir viel Zeit zum Zuhören und Mitdenken und damit auch zum Mitlernen gibt. Dabei diskutieren wir auf Augenhöhe, denn ich bin nicht die mit den besseren oder klügeren Ideen, sondern die mit der meisten Erfahrung – altersbedingt.

Die Gespräche sind für mich gleichzeitig eine Auszeit aus dem Unialltag. Nicht, dass wir in den Lehrveranstaltungen nicht auch diskutieren, aber nicht immer diskutieren alle mit. Weil manche Lehrveranstaltungen auch gemacht werden müssen, auch wenn sie eigentlich ganz uninteressant sind. Das verstehe ich. Umso mehr macht es Freude, mit jungen Menschen zu diskutieren, die ein so hohes Interesse am Thema haben, dass sie sich abends, freiwillig und ohne ECT-Punkte-Belohnung zu einem Gespräch treffen. Und sich im Vorfeld auch schon Gedanken machen…