Tafel und Kreide sind wichtig, AI ist es auch!

Konrad Paul Liessmann sagt „Die Digitalisierung des Bildungswesens zwingt zum forcierten Einsatz analoger Methoden.“ Eine Replik.

Tl;dr: Ein Hype ist ein Hype. Ein Liessmann ist ein Liessmann. Ein Moment des Innehaltens ist mein Wunsch.

Konrad Paul Liessmann ist bekannt für seine provokativen Perspektiven und Stellungnahmen. Nicht grundlos heißt eines seiner Bücher Bildung als Provokation. Er lebt, was er schreibt. Er ist Philosoph. Er ist kein Didaktiker und kein Pädagoge. Gerne legt er den Finger in Wunden und zeigt Schwachstellen im System auf. Seine Texte laden zum Kopfnickten ein, wenn man sie oberflächlich liest, vor allem seine Kolumnen.  Dagegen ist nichts einzuwenden, solange man das von ihm Geschriebene auch reflektiert und sich auch Zweitmeinungen einholt. Konrad Paul Liessmann publiziert oft in Schwarz-Weiß. Die Graustufen werden ausgeblendet.

Quelle: Pixabay

Seine Kolumne in der Kleinen Zeitung – übrigens wortgleich ohne Paywall in der Wiener Zeitung zu finden – hat für Kopfschütteln und Nicken gleichermaßen gesorgt. Freilich nicht bei den selben Personen. Ich musste auch schlucken:

In Österreich gibt es kaum warnende Stimmen. Die Medienpädagogen freuen sich über das neue Spielzeug und hoffen, dass dadurch die Kinder und Jugendlichen endlich von allen Nötigungen, selbst etwas zu lernen, befreit werden.

(Wiener Zeitung)

So schreibt der emeritierte Professor und beschreibt dabei die von ich wahrgenommene Realität. Ich verspüre unter den Medienpädagogen, mit denen ich mich austausche, keine Freude über das Spielzeug. Dafür aber eine Neugier, sich mit dem Werkzeug zu beschäftigen. Als Werkzeug. Nicht als eierlegende Wollmilchsau. Liessmanns grundlegende Kritik am Bildungssystem hat ihren wahren Kern. Aber es gibt auch immer eine zweite Seite einer Medaille.

Schlucken musste ich nicht nur wegen Liessmanns Zeilen, sondern der Reaktionen, die es dazu gab:

Ich will aber auch hier die zweite Seite der Medaille zeigen:

Die durch die Veröffentlichung von ChatGPT ausgelöste Diskussion geht schon lange nicht mehr nur um ChatGPT, sondern ist eine Kritik am aktuellen Bildungssystem. Vor allem am outputorientierten und notenbasierten Teil davon. Diskussionen sind gut, wenn sie sachlich geführt werden. Das ist übrigens eine der Stärken einer Artificial Intelligence: Sie ist sachlich und ohne Befindlichkeiten. In mancher Diskussion würde man sich diese Grundhaltung wünschen. Ich hatte dazu ja schon geschrieben:

Ein Verbot und ein „forcierter Einsatz analoger Methoden“ sind beides mögliche Lösungen. Aber sind es die richtigen Lösungen? Alle Verbotene ist interessanter als das erlaubte. Wird AI verboten, wo lernt man den Umgang damit? AI ist eine Realität und keine Vision. Sie entwickelt sich ständig weiter. Das sollten wir auch. Reflektiert, in Ruhe. Beiträge wie Liessmanns können uns voranbringen, sie können uns aber auch zurückwerfen. Sowohl als auch. Graustufen.

AI ist nicht neu

Das Thema ist sogar alt, zumindest im wissenschaftlichen Bereich. Die UNESCO hat bereits 2019 ein Dokument zu Artificial intelligence in education: challenges and opportunities for sustainable development veröffentlicht. Wir hatten in den letzten Jahren aber andere Baustellen, die uns dringender betroffen haben. Dabei waren wir eben fokussiert und haben Entwicklungen nicht so genau verfolgt. Verschlafen würde ich nicht sagen, denn die Forschung hat nicht aufgehört oder gar erst mit ChatGPT begonnen:

Es gibt zahlreiche Beispiele für lesens- und hörenswerte Beiträge. Eine schöne Sammlung hat auch Inside Higher Education erstellt: AI, ChatGPT and Higher Education. Und ChatGPT, der uns selbst eine Übersicht über 43 AI powered tools that will help boost your productivity liefert, ist übrigens auch nur eine Anwendung von vielen:

Florian Nuxoll hat absolut recht. Ein Beweis?

Stefan Köhler hat eine Graphik geteilt, die zeigt, wie viele verschiedene Anwendungen es in diesem Bereich schon gibt.

Wir sehen die Spitze des Eisbergs. Wir sollten vielleicht auch tauchen. Auf Futurpedia finden sich noch zahlreiche weitere AI Werkzeuge und auch Hanno Kenst empfiehlt mit SAASAITOOLS eine umfangreiche Sammlung. Eines ist klar: Ständig entwickeln sich neue Werkzeuge und Vorhandenes entwickelt sich weiter:

DeepL ist hier ein gutes Beispiel. Die Betaversion von DeepL Write ist da und bietet eine zusätzliche Funktion (für Deutsch und Englisch). Ich nutze DeepL sehr gerne, wenn ich schreibe. Es zeigt mir, wenn ich Texte übersetze, wo ich meinen Stil anpassen muss, weil ich zu eine hohe semantische und syntaktische Dichte aufweisenden Schachtelsätzen neige, die, vor allem in wissenschaftlichen Texten, kein Mensch verstehen kann. Sie wissen, was ich meine..

Und warum soll ich mir das Leben schwer machen? Ich nutze auch einen Taschenrechner, um bei Rechnungen auf Nummer Sicher zu gehen. Ich nutze auch Google Maps, um ans Ziel zu kommen. Nicht, dass ich mir nicht auch ansehe, ob der Weg tatsächlich ans Ziel und nicht in einen Acker führt. Ich bin bei meiner Recherche auf PolitePost gestoßen – die Anwendung hilft ein E-Mail umzuformulieren, dass es höflich wird. Klingt praktisch und ist wahrscheinlich auch ein Ausprobieren wert.

Ist es unethisch, wenn man sich die Recherche erleichtert? Ist es falsch? Ist es richtig? Eine einfache Antwort ist nicht möglich, denn das blinde Vertrauen in Werkzeuge ist nie gut. Wir müssen immer kritisch bleiben. Ein Algorithmus ist hilfreich, aber er ist nicht die letzte Lösung. Die Recherche wird uns nicht abgenommen, die kritische Bewertung auch nicht. AI zeigt erste Wege auf. ChatGPT ist erst der Anfang, schreiben Doris Weßels, Margret Mundorf und Nicolaus Wilder und weiter:

Die gesamte akademische Welt von der Grundschule bis zur Exzellenzuniversität gerät in Aufregung, die einen aus dystopischer Panik, die anderen aus utopischer Naivität. Beide Positionen sind im höchsten Maße verständlich.

(the decoder)

Dem Hype hinterherzulaufen ist gefährlich, da wir vielleicht nicht genug Kondition haben. Stehenbleiben ist aber auch keine Lösung, außer vielleicht um sich einen Überblick zu verschaffen und den Weg neu auszuloten und wieder Luft zu holen. Wir wissen ja auch, wie es mit Hypes meistens aussieht:

Der Hype um ChatGPT ist gerade immens. Einige sind gerade am Gipfel, andere sind im Tal. Die Produktivität ist das Ziel.

Wir sind auf dem Weg

Und genau darum geht’s in einzelnen Diskussionen (bereits):

Es geht nicht darum, die Augen zu verschließen, sondern sinnvolle Wege der Nutzung zu finden, die das Leben erleichtern (wenn man es pathetisch formulieren will). So beispielsweise im Dokument A Teacher’s Prompt Guide to ChatGPT aligned with ‚What Works Best‘, das u.a. Feedback und Assessment fokussiert. Was für wen „best“ funktioniert, ist natürlich von vielen Rahmenbedingungen abhängig, aber Inspiration findet sich im Dokument jedenfalls.

Auf Twitter werden bereits viele Ideen für einen Einsatz geteilt:

Hier musste ich schmunzeln, denn mit Dr. Jones würde ich auch gerne diskutieren.

PowerPoint-Karaoke finde ich als Methode ohnehin spannend, denn man lernt das Improvisieren und das freie Sprechen. Ist natürlich nicht für jede und jeden geeignet. Aber das ist keine Methode. Und alles, was einseitig ist, ist eben einseitig und spricht nur eine Seite an – das liegt schon im Wort.

Ein Vorschlag. Werde ich es ausprobieren? Eher nicht. Aber – wie bei Liessmanns Text – ist auch hier die Idee dahinter einen Gedanken wert.

Den Lernerinnen und Lernen bei der Arbeit mit AI das SPACE-Framework als Ablauf beizubringen, entspricht schon eher meinem Ansatz. Hier geht es um das Nutzen und das Bewerten. Hier ist eine kritische Leistung gefordert. Und eine eigenständige Leistung der Lernenden oder Nutzenden.

Denn auch AI hat noch eine zweite Seite der Medaille. Vielleicht nur Kinderkrankheiten. Aber dennoch ernstzunehmen.

Rahmenbedingungen und Regeln sind neu zu denken. Oder zu überdenken. Vielleicht auch in Frage zu stellen. Was sich in der Diskussion aber zeigt ist eine Kultur des Teilens. Die Masse an Beiträgen ist kaum mehr überschaubar.

Ich habe versucht, sie zu clustern:

Doppelnennungen von Beiträgen sind möglich. Aber ich wollte für mich ein wenig Ordnung in die Informationsflut bringen und über diese Ordnung sind auch die Threads zu den Tweets ersichtlich, die ich sehr schätze. Vielleicht hilft diese Sammlung auch anderen.

ChatGPT ist nur ein Hype

So würde ich beinahe meinen. Und wir haben dieser Hypes einige gehabt im letzten Jahrzehnt:

Auch hier musste ich schmunzeln. Und an einen Beitrag von Beat Döbeli Honegger denken, denn mit (fast) jedem Hype stellen wir uns eine ähnliche Frage:

Und wir werden uns diese Frage auch bei ChatGPT 4 stellen, das noch mächtiger sein soll:

Und auch eine Frage, die wir uns immer wieder stellen, auf die wir aber keine Antwort finden:

Was sollen Schülerinnen und Schüler in Zukunft können und lernen? Was sollen sie wissen? Was ich in den letzten Diskussionen für mich als Fazit gewonnen habe: Wir diskutieren und diskutieren. Wir finden keine Lösung. Und wenn wir eine Lösung finden, dann sind es Insellösungen. Und es sind Lösungen, die wir finden für Herausforderungen, die andere noch gar nicht so wahrnehmen, weil sie mit anderen Baustellen kämpfen. Lehrerinnen und Lehrer haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit vielen Baustellen zu kämpfen. Und es ist wichtig, sie bei den aktuellen Baustellen zu unterstützen und ihnen Momente des Innehaltens und Durchatmens zu ermöglichen, die es erlauben, dass sie sich einen Überblick verschaffen. Nicht ständig hinter etwas her hetzen. Agieren und nicht ständig nur reagieren.

Was ich mir Wünsche

Auch in Zukunft werden noch zahlreiche Beiträge geteilt – Erfahrungsberichte, Meinungen, Stellungnahmen und Momente des Scheiterns. Ich bin froh über diesen Austausch. Ich bin dankbar für die vielen Ideen und ich wünsche mir eine wissenschaftliche Begleitung dieser Erfahrungen, damit sie den Rahmen des Anekdotischen verlassen. Nicht dass die Erfahrungen ohne wissenschaftliche Begleitung weniger wert wären. Aber eine wissenschaftliche Begleitung hilft uns vielleicht, Erfolge und Misserfolge zu erklären, weil wir innehalten und nachdenken. Über Rahmenbedingungen und Voraussetzungen. Über Wünsche und Erwartungen. Das ist mein Wunsch. Und auch mein Ziel.

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