Ich durfte am 6. November 2019 in Jena am 16. Thüringer Jugendgerichtstag eine Keynote über die Rolle von Snapacht, Instagram & Co auf das Selbstverständnis heutiger Jugendlicher geben und dabei einen Einblick in die Bilderwelt der Jugendlichen liefern. In diesem Vortrag versuche ich, für alle Nicht-Dabei-Gewesenen meine Gedanken zu sortieren und nachvollziehbar zu machen.
Dass Social-Media-Kanäle, allen voran YouTube, Instagram uns Snapchat, eine zentrale Rolle im Leben heutiger Jugendlicher spielen, wissen wir nicht erst durch Studien wie die Jugend-Internet-Medien-Studie (JIM) für Deutschland, den Jugend-Internet-Monitor und die Oberösterreichische Jugend-Medien-Studie für Österreich. Jugendliche nutzen Social Networks und Messenger Dienste (die Diktion richtet sich partiell nach der von Kaplan und Haenlein 2010 erstellen Taxonomie) nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Unterhaltung und Informationsbeschaffung (die Verweise auf die JIM-Studie lassen sich der Präsentation auf Slideshare entnehmen.
Dabei zeigt sich deutlich, dass die rezeptive Ebene dominiert. Jugendliche konsumieren stärker als zu produzieren. Sie lesen die Timelines und Stories derer, denen sie folgen, posten und snappen nach eigenen Angaben jedoch verhältnismäßig wenig selbst. Auch YouTube-Videos werden von ihnen kaum selbst hochgeladen, vielmehr nutzen sie das vorhandene Angebot.
Gefilterte Wahrnehmung
Sie nehmen die sie umgebende Umwelt dabei nicht direkt, sondern indirekt wie durch eine Brille war. Sagte man früher, Verliebte trögen eine rosarote Brille, so wird die Wahrnehmung der Realität heute durch Filter gesteuert bzw. verändert. Dies lässt sich zum einen an den Filtern erkennen, die viele Kameras heute bereits standardmäßig anbieten und die das Weichzeichnen der Silhouette oder des Gesichts auf Knopfdruck ermöglichen; zum anderen aber auch durch die von den Social-Media-Diensten angebotenen Bildbearbeitungsfilter.
Dies geht vielfach so weit, dass sich ein völlig falsches Schönheitsideal entwickelt hat. Fotos ohne Filter werden als die unechten wahrgenommen, die weichgezeichneten sind die realen. Dabei werden die Personen in stark stilisierter Weise abgelichtet.
Um das beste aller Fotos zu bekommen, setzen einige sogar ihr Leben aufs Spiel. Fitness und gesunde Ernährung spielen hier eine nicht zu unterschätzende Rolle, die Optik kann jedoch nicht selten schief sein. Hier wird nachbearbeitet, um einem neuen Schönheitsideal zu entsprechen; hier wird der Boyfriend (of Instagram) [ja, man nennt die fotografierenden Freunde so] als Camera Hubby eingesetzt. Winkel und Belichtung müssen stimmen. Aus den zahlreichen geschossenen Fotos wird das makelloseste gewählt. Realität und Stilisierung lassen sich hier genauso schwierig voneinander trennen, wie Fake News und vor allem Deep Fakes sich erkennen lassen. [siehe eigenen Beitrag hierzu]
Ein Spiel aus Sein und Schein ergibt sich. Wir sind jedenfalls nicht das, was wir vorgeben zu sein. Einige Orte können sich des Besucher*innen-Ansturms nicht mehr erwehren, weil einzelne Influencer*innen von sich dort Fotos geschossen und veröffentlicht haben. Gerade die sog. Influencer*innen spielen eine zentrale Rolle für Jugendliche, sind sie es doch, die nicht nur die Meinung, sondern teilweise auch den Lebensrhythmus der Jugendlichen nachhaltig beeinflussen. [siehe eigenen Beitrag hierzu]
Schöne heile Welt
Was die Jugendlichen dabei besonders auf Instagram zu sehen bekommen, ist eine heile Welt. Wir posten unter #foodporn das heutige Essen, das ebenso perfekt gestyled ist wie das #ootd (#outfitoftheday) oder man zeigt unter #Goennung, welche Besonderheiten man sich nach einem langen Tag in wohlverdienterweise – eben – gönnt. Misserfolge, Rückschläge, Trauer und Wut werden nur selten veröffentlicht.
Nur wenige Influencer*innen nutzen so wie Charlie McDonnell (Charlie is so cool like) ihre Reichweite, um weniger positive Aspekte des Lebens anzusprechen – seine Depression zum Beispiel. Man spricht öffentlich nach wie vor nicht über die Schattenseiten des Lebens und wenn, dann nur durch die Blume, wie Seite wie Visual Statements oder WordPorn zeigen. Umso stärker man in die „traurige“ Seite der Filterblase eintaucht, umso schwerer kommt man hier aus dem diskursiven Rahmen heraus. Die Echo- bzw. Filterkammer reflektiert nicht nur deine Worte, sondern auch deine Stimmung (siehe hierzu das Beispiel #depression).
Dokumentation des Lebens
Es erweckt den Anschein, als müsste man das gesamte Leben lückenlos dokumentieren. Wie wichtig das Ich ist, verdeutlicht die Liste der beliebtesten Hashtags. Hier ein Selfie (mit Resting Bitch Face, Duckface oder T-Rex-Hand und Chinning) da ein Belfie, dort das Essen fotografiert (bis man das richtige Foto gemacht hat, ist das Essen wahrscheinlich kalt). Auf der Party des besten Freundes wird (bis in die frühen Morgenstunden) fotografiert wie verrückt und auch im Urlaub mit der besten Freundin ist das Smartphone ständiger Begleiter.
Galt früher der FOMO („Fear of Missing Out“) als Nebenerscheinung von Social Media (man hatte Angst, eine wichtige Information zu versäumen), so ist es heute die Angst, etwas nicht festzuhalten. Man lebt nicht den Moment, sondern versucht ihn auf einem perfekten Foto festzuhalten. Frei nach dem Motto (und gleichnamigen Hashtag): Pic or it didn’t happen. Dabei sind der Filter, oder die Brille immer dabei. Sind wir uns aber mal ehrlich: Wie oft sehen wir die Fotos zuhause dann noch an?
Was auf der Party noch lustig und fotografierenswert war, ist nun vielleicht einfach nur mehr peinlich – das Foto ist dekontextualisiert (ähnlich wie ein in einer bestimmten Situation unter der Referenz Situationskomik geäußerter Satz nacherzählt gar nicht mehr lustig ist). Außerdem vergisst man die Ereignisse einer Party wieder, das Internet aber vergisst nie.
Die Macht der anderen
Das Ich wird also nach dem Vorbild einzelner Influencer*innen in Hinblick auf ein virtuelles Schönheitsideal stilisiert. Man passt sich an, ist nicht mehr die Person, die man eigentlich war, ist oder sein will. Wir posten uns nach dem Vorbild der anderen, vermeintlich so, wie uns die anderen gerne sehen wollen („Doppelte Kontingenz“). Dabei hat eine Studie gezeigt, dass vor allem klassische Rollen- und Familienbilder bedient werden, auch was beispielsweise Kleidung und Make up betrifft. Das ästhetische Körperbild ist ein spezifisches. Vieles passiert im Mainstream, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Das Abweichen ist auch Teil der Lebenswelt der Jugendlichen die großen Influencer*innen sind jedoch im Mainstream verhaftet.
Da wir uns gerne über die Aussagen von anderen definieren, wird die Rolle des Likes und der Views immer zentraler (Selbstwahrnehmung vs. Fremdbild). Man postet etwas für eine spezifische Zielgruppe, das keine Likes oder Kommentare bekommt? Der absolute Horror – und damit sehen sich nicht nur Jugendliche konfrontiert, wie der Aufruf zu einer stoischen Social-Media-Nutzung von Philippe Wampfler zeigt.
Verändertes Sozialverhalten
Dass die ständige Dokumentation und die Angst vor fehlenden Likes (und/oder Reaktionen) die zwischenmenschliche Ebene beeinflussen, braucht nicht extra gesagt werden. Dies umso mehr, als das Smartphone mittlerweile überall mit dabei ist und man – so zeigt eines der zur Wahl des Jugendwortes 2017 und 2018 vorgeschlagenen Worte – auch häufig vom Klo aus Nachrichten verschickt und es dafür ebenso ein eigenes Wort (tacken) gibt wie für das Schlussmachen via Textnachricht oder Social Media (Exting). Man misst sich mit anderen in Challenges, die zum Teil nicht ungefährlich sind – als Beispiel sei die Cinnamon Challenge zu nennen.
Vielleicht haben Sie ja auch schon vom Ghosting gehört: Wenn jemand den Kontakt zu einer anderen Person, der hauptsächlich über WhatsApp oder soziale Netzwerke gepflegt wurde, abbricht (indem man entfolgt und blockiert). [siehe eigenen Beitrag hierzu] Was mit Stalker*innen passiert, ist in §107 StGB (besonders §107a,b,c) nachzulesen.
Man kreiert im schlimmsten/besten Fall zwei Persönlichkeiten – eine virtuelle und eine reale. Hier sind beide Möglichkeiten denkbar: Im virtuellen Raum wird das Image bewusst gepflegt, im realen Raum kommt es zu Ausbruchserscheinungen (Gewalt gegen sich und/oder andere, physische und/oder psychische Gewalt). Diese erscheint seltener als die zweite Variante: Mainstream-Leben im realen Raum und Ausbruch im virtuellen Raum (z.B. Thematisieren der Anorexie, Zeigen der Ritzerwunden, Dokumentieren des Nicht-Essens). Auch zwei unterschiedliche Kanäle auf Instagram oder/und Instagram sind möglich (ein offizieller und ein inoffizieller).
Social Media (k)ein rechtsfreier Raum
Gerade in der Nutzung sozialer Netzwerke und Messenger wird dabei nicht selten auf rechtliche Aspekte, allen voran das Urheberrecht, vergessen. Paragraph 78 Urheberrechtsgesetz verbietet in Österreich das veröffentlichen und teilen von Fotos anderer Menschen, wenn deren Interessen beeinträchtigt werden können. Das Posten und Teilen von Memes und GIFs wird in Zukunft mehr als problematisch, wenngleich gerade diese beiden Elemente fixer Bestandteil der jugendlichen Bilderwelt sind. Und man sollte auch die Nutzungsbedingungen von Facebook & Co kennen – was passiert mit den Nutzungs- und Verwertungsrechten?
I bims
Auch die sprachliche Ebene ist eine zentrale. Es wird weniger gelesen, was bereits beim Vorlesen beginnt. Kindern wird heute weniger vorgelesen, was einen verkümmerten Wortschatz zur Folge hat. Filterblase und Echokammer tun ihr Übriges dazu, die sprachlichen Kompetenzen der Jugendlichen nicht weiter auszubauen (Stichwort: I bims). Wenn man ständig nur die gleiche falsche Schreibweise und einfache Syntagmen liest, dann übernimmt man diese, weil es a) zu einer Verstärkung der eigenen Meinung in Hinblick auf die Richtigkeit des Gesagten/Geschriebenen kommt und man b) keinen vielfältigen sprachlichen Pool zum Ausschöpfen hat. Und hier sind vor allem auch Erwachsene bereits schlechte Beispiele [siehe Beiträge zur Jugendsprache].
Fazit
Der Druck auf die Jugendlichen ist groß: Nur keine Flammen erlöschen lassen, möglichst viele Likes, Herzen oder Daumen bekommen. Sie sind Indikatoren vermeintlicher Beliebtheit. Denn Facebook Friends sind nicht zwangsläufig auch Freund*innen. Und Realitätsverlust ist möglich: Man verliert den Blick auf das Wesentliche und sieht nicht, wer sich für einen interessiert und wer nicht, weil wir Aufmerksamkeit von jenen suchen, die uns ihre Aufmerksamkeit nicht schenken (wollen).