Kritik ist gut, aber…

Wenn ein Lehrer, der mit seinem Unterricht andere Wege geht, auf einen Blogpost ungewohnte Kritik erntet, dann hat das sicherlich seine Gründe. Das Netz im Allgemeinen und die Community im Speziellen können beinhart und kritisch sein. Und das ist auch irgendwie gut so, wenn der Ton der richtige bleibt. Kritisches Denken und Kommunikation, das sind zwei der #4Kde (die deutsche Version der 4C), die da so herum schwirren als die Kernkompetenzen des 21. Jahrhunderts.

Quelle: Pixabay

Stein des Anstoßes war dieser Tweet mit einem Blogartikel (die Reaktionen kann jede/r auf Twitter nachlesen – dafür einfach auf das Bild quasi klicken):

Der Titel: 7 Wege, die den Unterricht verändern (können), der Autor: Sebastian Schmidt, besser bekannt als @FlippedMathe. Die Reaktionen auf den Tweet kann jede/r direkt auf Twitter nachlesen. Ein zweiter Diskussionsstrang ergab sich hier – und auch hier kann die gesamte Diskussion auf Twitter nachgelesen werden.

Und ich denke, ich weiß, wieso die Wogen hochgegangen sind. Es gibt da zwei Gruppen: Die einen freuen sich über Ideen und Anregungen für den konkreten Unterricht. Die anderen stoßen sich am Wording, an der formalen Ebene und hinterfragen die Sinnhaftigkeit derartiger „Rezept-Blogposts“. Und wisst ihr was: Beide haben Recht. Ich bin keine Freundin von Entweder-Oder. Ich mag Sowohl-als-Auch. Soviel vorweg.

Die Ideen, die Sebastian Schmidt beschreibt, sind Unterrichtsrezepte. Es sind keine Tools, es sind keine Apps, es sind keine Technologien (außer man verfolgt einen Foucault’schen Ansatz). Und naja, es ist auch keine digitale Bildung. Was soll an Bildung digital auch sein? Und, es sind auch keine Tools oder Werkzeuge oder Szenarien, die den Unterricht verbessern können, oder besser machen oder sonst einen Effekt haben. Ich könnte Hattie zitieren und seine Sicht über die Rolle der Lehrperson für den Lernprozess. Ich könnte den aktuellen Post des wunderbar inspirierenden Philippe Wampfler (@phwampfler) anführen, der darüber sinniert, Sich selber überflüssig machen (zu können) im Unterricht. Denn darum geht es doch im Grund irgendwie, dass wir Lehrenden eine unter vielen Quellen sind, die die Schüler/innen in ihrem Netzwerk anzapfen können. Gelebter Konnektivismus.

Ich mag ja auch den Begriff Unterricht nicht (hat was von einer Oben-Unten-Hierarchie) und auch den Lehrkörper oder die Lehrperson. Ich mag so viele Begriffe nicht. Die neuen Medien. Was ist neu? Und wann waren die neu? Für wen denn eigentlich? Den Mehrwert von Tools oder Werkzeugen oder Methoden. Wenn ich das schon lese/höre/sehe… Da geht es mir wie Axel Krommer (@mediendidaktik_), den ich so schätze, und der sich dazu schön kompakt geäußert hat.

Aber um Begrifflichkeiten geht es doch gar nicht, oder? Geht es nicht darum, den Unterricht abwechslungsreich zu gestalten und zu schauen, was für seine eigenen Schüler/innen passt und funktioniert? Geht es nicht darum, Schüler/innen in die Selbstorganisation zu entlassen? In die Selbstständigkeit? Müssen wir nicht Unterrichtsparadigmen neu denken? Ist es nicht so, auch als Lehrende/r mal Fehler machen zu dürfen, Dinge ausprobieren zu können, diese dann zu reflektieren (ich verwende bewusst „Dinge“).

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Genau aus dem Grund finde ich den Beitrag von Sebastian Schmidt gut. Weil er eigentlich sagt, ich muss nicht dem neuesten Trend folgen, auf jeden Trend aufspringen, jedes Tool einsetzen, nur weil es gerade hip oder cool oder nice oder was auch immer ist. Weil er auch von seinen Erfahrungen in Fortbildungen mit Lehrerinnen und Lehrern spricht. Ich muss wissen, wie ich zu meinen Lehrzielen komme und wie ich meinen Schülerinnen und Schülern helfe, ihre Lernziele zu erreichen (wieso wird eigentlich so selten zwischen Lehr- und Lernzielen unterschieden? können/dürfen die Schüler/innen auch eigene Lernziele verfolgen?). Viel wichtiger wäre es ja doch, in meinen Augen, dass wir die Lehr- und Lernziele ein wenig überdenken. Und zwar vor dem Hintergrund der #4Kde. Ich sehe immer wieder, dass Studierende an die Uni kommen und keine eigene Meinung haben. Oder sie schon haben, sich aber nicht trauen, diese zu äußern, weil sie könnte ja falsch sein. Sie könnte in die Beurteilung einfließen. Wir trainieren unsere Schüler/innen und auch Studierenden in ihren Kompetenzen (welche noch gleich?). Was wir oftmals aber machen, ist ein Training to the Test.

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Und bevor sich jemand beschwert: Wieso hat sich der QR Code, eine, wie ich finde, äußerst praktische Sache im Sinne eines Seamless (Mobile) Learning Wunsches, nicht durchgesetzt?

Ja, ich würde auch gerne empirisch/wissenschaftlich erheben, wieso Dinge so funktionieren, wie sie funktionieren. Wieso ist beispielsweise das behavioristische Format hinter Kahoot! so spannend? Wieso verfallen sowohl Lehrer/innen als auch Schüler/innen diesem „Format“, das so neu nicht ist? Das ist doch wieder ein Training to the Test, ein bloßes Ankreuzeln oder Antippen. Wo ist die kognitive Leistung dahinter? Wo ist das Nachdenken, das Reflektieren?

Gerade, während ich schreibe, hat Axel Krommer dazu einen schönen Tweet verfasst, der irgendwie dazu passt:

Was lernen die Schüler*innen? Sie lernen die richtige Antwort (hoffentlich) schnell zu tippen. Sie lernen das Format. Sonst noch was? Ich würde meinen, ja: Sie lernen das schnelle Lesen. Vielleicht sogar sinnerfassend. Und was ich schon sehe, und darüber freue ich mich persönlich, sie beschäftigen sich mit meinem Fach (sorry für die Formulierung, die ist natürlich auch ungeschickt). Und wenn sie sich kognitiv nicht anstrengen, dann vielleicht affektiv. Ich versuche die Lerner/innen für Französisch und Italienisch zu begeistern, was (nicht immer) so einfach ist. Ich bin froh, wenn ich hier eine Unterstützung habe, auch wenn es „nur“ Kahoot! ist. Ich bin froh, wenn jemand nicht die Augen überdreht, wenn ich sage: „Ich bin Lehrerin. Meine Fächer sind Französisch und Italienisch.“

Wenn mit „altes System“ gemeint ist, dass wir Lehrende den Inhalt produzieren und die Lerner/innen nur konsumieren, dann: JA. Wenn es darum geht, dass es sich bei Kahoot! um eine Lehrendenzentrierung geht, dann: JA. Wenn es darum geht, dass wir auf einen Test hin trainieren, dann: JA. Aber es macht dennoch Spaß, baut Ängste ab, bricht vielleicht auch Hierarchien auf.

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Und noch etwas, um auf den Blogpost zurückzukommen: Interessant sind diese Tipps ja nicht nur für uns Lehrende, sondern vor allem und gerade für die Lernenden. Sie können genauso mit QR Codes arbeiten, sie können ebenso Videos produzieren. Sie sollten sich ebenso Wege überlegen, wie man sich mit Hilfe analoger und digitaler Medien und passender Methoden organisieren kann. Auch sie können Materialien von anderen verwenden, wenn sie sie kritisch hinterfragen (und richtig zitieren). Auch sie können gemeinsam an etwas arbeiten – denn das ist, so meine ich, die Zukunft. Die Lerner/innen sollen nicht konsumieren sondern produzieren. Sie sollen aktiv sein, kreativ und kritisch. Sie sollen miteinander und auch mit Menschen außerhalb kommunizieren oder sogar kollaborieren. Das wäre mein Ansatz, vielleicht ist es ein hehrer, aber ich versuche ihn, gemeinsam mit den Lernerinnen und Lernern, die zu mir kommen, zu leben. Und sich da über einzelne Begriffe zu ärgern oder sich an ihnen zu stören… Es geht doch um die Idee, das Ziel dahinter. #IdealistinAmWort

Als Idealistin sage ich: Absolut. Als Didaktikerin sage ich: Werkzeuge dürfen meine Entscheidungen nicht leiten. Die Lehr- und Lernziele sind es und die Methode, die ich wähle. Als Praktikerin sage ich: Praktisch sind die Tools schon (Toolsammlungen sind ja immer gern gelesen und geschrieben). Als ich sage ich: Es geht darum, wie ich etwas einsetze. Egal ob digital oder analog, iOS oder Android (oder Windows, Mist – schon da funktioniert das Binäre nicht), Mathe oder Sprachen, Palliativ oder Präventiv (oder was wäre ein mögliches Antonym?). Ich lese mir Toolsammlungen durch, um zu sehen, was andere so machen. Auch in anderen Fächern, um die Scheuklappen abzunehmen. Ich lese aus diesem Grund auch Blogs. Ich lass mich inspirieren, freue mich über die Kreativität der anderen. Aber ich bleibe kritisch, schaue, was ich wie für meine Lerner/innen für meine Art und Weise des Unterrichts einsetzen kann. Ich kommuniziere mit anderen – deshalb auch eine der #edupnx – und ich arbeite gerne mit anderen zusammen. Und über diese Erfahrungen blogge ich dann wieder. Weil vielleicht andere auch von mir lernen wollen und meinen Fehlern und Erfahrungen. So schließt sich für mich der Kreis.