Jetzt, wo mein Blog wieder online ist, kann ich auch endlich die geplanten Beiträge zu den Beitragsparaden der #EduPnx nachholen. Eine davon liegt mir am Herzen, jene zum Thema Scheitern.
Sie kennen das vielleicht. Man ist Lehrer*in oder eben nicht. Und wenn, dann ist man es immer. Wenn ich mir eine Speisekarte ansehe, finde ich sicher einen Tippfehler. Postings auf Social Media, in denen Grammatikfehler oder Ähnliches gemacht werden, regen mich auf. Wenn ich auf Urlaub in einem Land bin, dessen Sprache ich spreche, zieht es mich in Buchläden, um zu sehen, was gerade so angesagt ist und um dann mit einem Stapel Bücher das Geschäft zu verlassen. Einige davon aus dem Bereich Kinder- und Jugendliteratur – lässt sich schließlich vielleicht für den Unterricht brauchen. Ich glaube, der Lehrberuf ist – zumindest für mich – weniger Beruf als Berufung. Ich kann kreativ sein und mit meinen Lernenden (egal welcher Zielgruppe) Neues ausprobieren. Manchmal funktioniert es, manchmal aber auch nicht. Gelingt es, ist es natürlich schön; gelingt es nicht, dann ist das aber auch kein Beinbruch, denn man hat etwas ausprobiert. Scheitern gehört für mich zu meinem Beruf einfach dazu. Ich finde es auch gar nicht negativ.
Unsere Landkarte
Sie kennen den Spruch: Aus Fehlern lernt man. Wir alle machen Fehler und Fehler sind nichts Negatives, solange man aus ihnen lernt. Man muss sich eben die Zeit nehmen, einen Reflexionsprozess zu starten. Warum hat etwas nicht geklappt? Lag es an meiner Tagesverfassung, an den Rahmenbedingungen, an den Lernenden, am Wetter? Es gibt in der Arbeit mit Menschen so viele verschiedene Faktoren, die den Lernprozess (und auch den Lehrprozess) beeinflussen. Wer sich ein wenig mit Alfred Korzybski oder den Prinzipien des Konstruktivismus beschäftigt, der weiß, worauf ich hinaus will: Wir alle haben unsere eigene Landkarte, unsere eigenen Vorerfahrungen, auf die wir aufbauen. Paul Watzlawick beschreibt diese subjektiven Wahrnehmungen der Wirklichkeit und unsere Wertehaltungen in Wie wirklich ist die Wirklichkeit? und in Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du Knoblauch essen ziemlich treffend. Wer sich fragt, wieso wir nicht aus unserer Haut können (oder vielleicht doch), ist bei der Lektüre Watzlawicks gut aufgehoben (Achtung: Empfehlung!).
Katzen
Sie mögen Katzen? Dann ist #catcontent für Sie genau richtig und auf der PowerPoint-Folie sorgt das Bild einer Babykatze für ein verzücktes „Ohhh“. Sie können Katzen nicht leiden oder haben Ihre Katze gerade verloren? Dann ist die Reaktion eine andere. Wir können in unser Gegenüber nicht hineinschauen. Wann sind wir gescheitert? Wenn etwas mehrheitlich nicht angenommen wird im Unterricht? Wenn wir die für uns gesteckten Ziele nicht erreichen? Sind es dann die Lernziele oder die Lehrziele? Sollten wir vielleicht darüber nachdenken, unsere Lehrziele offenzulegen und zu kommunizieren und die Lehr- von den Lernzielen zu trennen?
Hellseher*innen
Seit ich mich mit dem Constructive Alignment näher beschäftigt habe, glaube ich verstärkt, dass wir unseren Lehrprozess lernendenorientiert denken müssen. Nehmen wir das Beispiel Seminararbeit an der Hochschule: Wir erwarten von unseren Studierenden, dass Sie Seminararbeiten schreiben können. Wo haben sie dies aber gelernt? Habe ich klar formuliert, was ich gerne möchte? Oder sollen die Studierenden wie Hellseher*innen erahnen, was ich gerne hätte? Es gibt zwei Möglichkeiten: Ich kommuniziere Prinzipien und lasse den Studierenden in den Details einen kreativen Zugang offen. Dann darf ich mich aber nicht beschweren, wenn ich z.B. eine Seminararbeit in Times New Roman ohne Blocksatz bekomme, mir aber Blocksatz erwarte. Oder ich formuliere anhand eines Stylesheets bis ins letzte Detail aus, was ich gerne hätte. Beides hat seine Vor- und Nachteile, beides hat seine Daseinsberechtigung. Auch ich habe meine Landkarte und meine Erwartungen. Wenn ich sie erfüllt haben möchte, dann muss ich sie auch offenlegen.
Weise Sprüche
Ich habe in meiner Küche ein Schild direkt beim Herd stehen: Sometimes you win, sometimes you learn. Wer mich kennt, weiß, dass ich zur „Das-Glas-ist-halbleer“-Fraktion der Pessimist*innen gehöre. Ich lasse mich gerne positiv überraschen. Ich sehe mein eigenes Scheitern im weitesten Sinn aber immer als Lernprozess. Es gibt so viele kluge Sprüche – und all diejenigen, die sich auf den unterschiedlichen Social-Media-Kanälen herumtreiben, wissen was ich meine: Schenkt das Leben dir Zitronen, mach Limonade daraus. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich irgendwo anders ein Fenster. Manche Entscheidungen des Lebens erkennst du erst später. Nun, ja, eine gewisse Wahrheit steckt dahinter. Wenn wir scheitern, hat dies einen Grund, den wir reflektieren sollten. Das Lernen ist ein Prozess aus Trial-and-Error und Learning-by-Doing. [Exkurs: Das ist natürlich nicht in jedem Beruf möglich – gerade bei Personen, die im Bereich Exekutive oder Gesundheitswesen tätig sind, ist das Trial-and-Error- oder Learning-by-Doing-Prinzip wahrscheinlich (oder sicherlich) nicht erste Wahl.] Wichtig bleibt, flexibel und vor allem offen zu sein und sich auf nichts zu versteifen.
Meine Hoffnung
Im Lehrberuf muss ich mich auf heterogene Gruppen einstellen und ich unterrichte eigentlich visionär und zukunftsorientiert. Salopp gesagt: Ich unterrichte heute mit Methoden und Medien von gestern die Lehrer*innen von heute und morgen. Ich kann unterschiedliche Methoden, Medien, Inhalte und Zugänge anbieten und hoffen, dass für jede*n etwas dabei ist. Ob meine Studierenden im Lehrberuf mit „meinen“ Methoden reüssieren werden? Ich kann es nicht sagen, ich kann nur versuchen, die Vielfalt zu leben und dabei authentisch zu bleiben. Ich will Angebote machen, aber nichts verkaufen. Die Studierenden können selbst wählen, was sie annehmen. Mir bleibt dabei nur wichtig, dass sie Neues ausprobieren und nicht in jedem Kurs „altes“ Material „recyceln“.
Meine Rollen
Ich freue mich über das Feedback, das ich erhalte, auch wenn es nicht immer leicht ist, mit Feedback umzugehen. Niemand wird gerne kritisiert. Aber wenn wir lernen, die Kritik als Feedback zu sehen, die nicht uns als Mensch angreift, sondern die Rolle, die wir gerade eingenommen haben, dann ist das in Ordnung. Ich habe die Suppe versalzen? Es war die Köchin in mir. Ich habe ein Wort falsch ausgesprochen? Es war die Nicht-L1-Sprecherin in mir (wenngleich ich auch in meiner L1 nicht immer alles richtig ausspreche). Ich habe ein As statt ein A gespielt? Es war die Musikerin in mir. Wir allen spielen Theater, wie Erving Goffman richtig schreibt. Wir sind Uno, Nessuno e Centomila, wie Luigi Pirandello es formuliert. Das Scheitern trifft einzelne Rollen, meist aber nicht unsere gesamte Persönlichkeit. Es gibt sicher Ausnahmen, das möchte ich nicht ausschließen…
Neue Fehlerkultur
Den Fehler als solchen zu entdämonisieren, habe ich mir schon länger als Ziel vorgenommen. Der Weg dahin ist noch ein weiter, was ich auch immer wieder in den Debatten um Open Educational Resources sehe. Wieso einige ihre Materialien nicht teilen wollen? Es könnte ja sein, dass sich ein Fehler darin findet… Ja, stimmt. Dann ist es aber fein, wenn viele Augenpaare drüberschauen und mir Feedback geben. Eine liebe Kollegin aus meinem Musikverein „kauft“ bei mir immer fehlende Buchstaben in Postings auf Facebook oder verkauft überflüssige (wer sich an das Glückrad erinnert, weiß, was ich meine). Ich bin dafür unendlich dankbar, denn ich kann nicht alles sehen und die Autokorrektur ist manchmal auch ziemlich fies 😉
Mein Scheitern – drei Beispiele
Ich tanze ja auf vielen verschiedenen Hochzeiten und möchte allen meinen Interessen – u.a. meine Sprachen, die Literatur, meine Social-Media-Kanäle, die Musik, die digitalen Medien, die Pressearbeit, das (Ein-)Kochen und Backen – gleich viel Zeit schenken. Ich schaffe es nicht und so habe ich gelernt, in meinen Tagesplan Schwerpunkte durch Zeitfenster zu setzen.
Ich versuche immer wieder, Neues auszuprobieren, um auch gezielt meine Schwächen zu forcieren. Ich bin eine ganz schlechte Zeichnerin. Nun, beim Sketchnoting (#Sketchnotefever) bin ich gescheitert. Bei mir schaut immer alles relativ (sehr) laienhaft aus. Aber ich hab’s noch nicht aufgegeben. Wahrscheinlich fehlt nur die Übung.
Ich bin absolute Perfektionistin mit dem Hang zum (sprachlichen) Monk. Meine Freund*innen wissen das und sie haben sich vielfach dran gewöhnt. Sie lassen mich machen. Ich mag keine halben Sachen, ich mag keine fehlende Professionalität und ich mag auch keine Menschen, auf die ich mich nicht verlassen kann (in Projekten z.B.). Ich musste für mich lernen, damit umzugehen, drei auch mal grade sein zu lassen und vor allem nicht immer als sofort erledigt zu wissen. Gut, ich gestehe, dieser Lernprozess ist ein work in progress. Sich aber seiner eigenen Landkarte bewusst zu sein, hilft immens: nicht nur im Lehrberuf, sondern im Umgang mit Menschen allgemein.