„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können“. Wer hat dieses Zitat nicht schon selbst verwendet oder ist zumindest damit konfrontiert worden?
Es wird Konfuzius zugeschrieben [1], ob er es jemals wirklich gesagt hat, wissen wir natürlich nicht. Sehr wohl wissen wir aber, dass sich die Lerneffektivität von Methoden, Medien, etc. nicht in einer Pyramide darstellen lässt!
Um welche Pyramide geht es überhaupt?
Fälschlicherweise wird diese Darstellungsform der Lerneffektivität mit Edgar Dale in Verbindung gebracht, daher lesen wir oft von Dale’s Cone of Experience (siehe Abbildung 1). Oftmals wird auch von der Learning Pyramid, der Lernpyramide, gesprochen oder geschrieben.
Die Pyramide will uns zeigen, dass wir bei unterschiedlichen Aktivitäten, z.B. lesen, hören, tun, Inhalte unterschiedlich stark erinnern und mit diesem Gelernten dann auch etwas anfangen können. Im Netz finden sich zig Varianten dieser Lernpyramide und wer glaubt, dass dieser Mythos längst der Vergangenheit angehört, der irrt. Einfach mal in einer Suchmaschine „10% lesen, 20% hören“ oder „Lernpyramide“ eingeben und sich überraschen lassen. Wir haben das gemacht und sind erstaunt. Das Verwenden der Pyramide wird stets begründet mit „…wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass…“: In Wahrheit gibt es keine einzige Studie.
De Bruyckere et al., (2015) [2] nennen die Lernpyramide daher auch gerne „Das Loch Ness Monster der Bildungswissenschaften“ (eigene Übersetzung), sie ist schlicht falsch und ein Fake.
Mehrere Probleme konnten die Autoren identifizieren:
- Es gibt keine*n Ersturheber*in für die heute so verwendete Pyramidendarstellung. Die Prozentangaben sind in keiner Publikation zu finden, sie müssen irgendwann später einfach dazu gedichtet worden sein. Dale hatte sich mit dem Abstraktionsniveau von Darstellungen beschäftigt und im Zuge seiner Arbeit eine Pyramide zur Darstellung der verschiedenen Abstraktionsniveaus gewählt.
- Die Verwendung solch exakter Prozentangaben ist in der Wissenschaft schlicht unmöglich. Lernen ist komplex und unterliegt vielen Faktoren, z.B. dem Vorwissen, dem Alter der Lernenden, den Lernhinhalten, Lernzielen etc. Empfehlungen können meist also nur sehr eingeschränkt ausgesprochen werden.
Heute wird die Lernpyramide gerne verwendet, um den Einsatz von Medien und den dringend notwendigen „Shift from teaching to learning“ zu rechtfertigen.
Shift from teaching to learning
Medien sprechen mehrere Sinneskanäle an und seien deshalb effektiver für das Lernen. Diese Annahme wird als naive Summierungstheorie bezeichnet, z.B. werden durch Hören (20%) und Sehen (30%) gleichzeitig (z.B. Video) 50% des dargestellten Inhalts erinnert. Wie bereits skizziert ist diese Annahme schlichtweg falsch und gelingendes Lernen, etwa mithilfe von Videos, von vielen weiteren Faktoren abhängig [3]. Wer Lernmaterialien nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestalten möchte, kann sich an der Theorie des multimedialen Lernens orientieren [4].
„Shift from teaching to learning“ meint, dass in der Schule oder auch an Universitäten Lernende meist passive Rezipient*innen von Wissen sind. Als Beispiele werden dann natürlich Vorlesungen oder der klassische Frontalunterricht ins Feld geführt. Jede*r, der/die schon mal guten Vorträgen oder spannenden Präsentationen lauschen durfte, weiß, dass Zuhören keinesfalls etwas „Passives“ ist. Möchten wir dem/der Sprecher*in folgen, müssen wir aufmerksam sein und mitdenken. Am besten ist es, wenn wir uns Notizen machen, in welcher Form auch immer (textuelle, visuelle oder beides z.B. Mindmaps).
Klar ist, warum das Tun mit der größten Prozentzahl ausgestattet wurde. Es beruht auf unserem oftmals subjektiv wahrgenommenen Gefühl, formales Lernen sei wenig handlungsorientiert und deshalb sei es endlich notwendig, das Tun in den Mittelpunkt zu rücken.
Wie wir im Laufe der Adventszeit noch zeigen werden, kann Tun, im Sinne von Lernen einer konkreten Fähigkeit, die noch nicht beherrscht wird, nicht losgelöst von Wissen betrachtet werden. De Bruyckere et al. (2015) beschreiben dies anhand des Micro-Teachings, das in der Meta-Metaanalyse von John Hattie als sehr lernwirksam eingestuft wird. Bei der Methode üben angehende Lehrer*innen das Unterrichten in einer kleinen Gruppe und diskutieren im Anschluss über ihre Erfahrungen und Handlungen. Eigentlich ein Beweis dafür, dass die 90% stimmen müssen, oder? Es kann nur gehofft werden, dass diese angehenden Lehrer*innen vor dieser Übung bereits Lehrveranstaltungen zu Unterrichtsplanung, Lehren und Lernen und natürlich ihrem Unterrichtsfach besucht haben. Dieses Vorwissen beeinflusst nämlich die Übung und macht sie wirksam. Noch wirksamer wird sie durch die anschließende Diskussion und das Feedback, das die zukünftigen Lehrpersonen von den Kolleg*innen sowie den Dozierenden bekommen [5].
Was tun wir nun mit der Lernpyramide?
- Zuallererst sollten wir vorsichtig sein, wenn schöne Grafiken uns weiß machen möchten, wie einfach Lernen ist (und wie leicht wir es beeinflussen können)!
- Dann sollten wir die Pyramide niederreißen, sie in eine quadratische Form gießen und alle Prozentangaben gleichmäßig auf alle beschriebenen Aktivitäten verteilen [6].
- Lernende sollten immer etwas tun! Und wir müssen ihnen (wieder) klarmachen, dass das Lesen eines Textes, das Ansehen eines Videos und das Hören eines Podcasts etwas Aktives ist bzw. werden kann, z.B. durch Unterstützungsmaßnahmen (exzerpieren, mitschreiben, graphic recording, sozialer Austausch, …).
Vielleicht gilt das Motto: Vielfalt leben, anstatt Aktivitäten mit Prozenten belegen.
Quellen
[2] De Bruyckere, P.; Kirschner, P. A. & Hulshof, C. D. (2015). „Myths about Learning. Myth 2: The Effectivness of Learning Can Be Shown in a Pyramid“, in: dies. (Hg.), Urban Myths about Learning and Education. Amsterdam et al.: Elsevier: 28-35.
[3] Findeisen, S., Horn, S., & Seifried, J. (2019). Lernen durch Videos – Empirische Befunde zur Gestaltung von Erklärvideos. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, Einzelbeiträge 2019-. https://doi.org/10.21240/mpaed/00/2019.10.01.x
[4] Mayer, R. E. (Hrsg.). (2014). The Cambridge Handbook of Multimedia Learning (Second Edition). Cambridge, UK: Cambridge University Press. Zusammengefasst u.a. bei
– Kerres, M. (2018). Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote (5. Auflage). Berlin: De Gruyter Oldenbourg Verlag.
– Zumbach, J. (2010). Lernen mit neuen Medien: Instruktionspsychologische Grundlagen (1. Aufl). Stuttgart: Kohlhammer.
[5] Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen (W. Beywl & K. Zierer, Übers.). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
[6] Lalley, J. P. and Miller, R. H. 2007. The learning pyramid: Does it point teachers in the right direction?. Education, 128(1): 64–80.