Gendersensibel # divers

Vielleicht öffne ich mit diesem Post die Büchse der Pandora, aber das Thema brennt mir seit geraumer Zeit unter den Nägeln – in den letzten Tagen umso mehr.

Ich schicke voraus, dass ich keine Expertin im Feld von Gender- und Diversitätsfragen bin und dass ich eine klare Haltung habe, die vielleicht nicht alle verstehen oder für gut heißen möchten. Ich verurteile niemanden, der anders denkt. Ich glaube auch nicht, dass meine Art zu denken die richtige ist. Es ist einfach (m)eine Art… Ich beobachte die Welt durch meine eigene Brille, durch meinen Frame auf meiner Landkarte. Ich habe blinde Flecke – nicht nur einen. Ich versuche mir dies immer wieder vor Augen zu halten.

Quelle: Pixabay

Es gibt zwei auslösende Momente für diesen Blogpost, die eigentlich recht unterschiedlich sind:

  1. Ich habe im letzten Semester eine Lehrveranstaltung zur Vorbereitung wissenschaftlicher Arbeiten gehalten, in der auch das Thema Gendersensible Sprachverwendung eine Rolle gespielt hat.
  2. Die Diskussion rund um den von Axel Krommer et al. herausgegebenen Routenplaner #digitaleBildung.

Grundsätzliches

Ich möchte vorab klarstellen, dass ich die Diskussion rund um Gender- und Diversitätsfragen für sehr wichtig halte, weil hier eine Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung notwendig ist. Ich habe mich im wissenschaftlichen Diskurs an die Verwendung einer gendersensiblen Sprache gewöhnt. Ich habe mich im Lehr- und Wissenschaftsdiskurs daran gewöhnt, Beispiele auszuwählen, die beiderlei Geschlecht wie auch diverse Orientierungen ansprechen, ohne dies explizit zu kommunizieren. Das bedeutet, dass ich nicht betone, dass ich unterschiedliche Gruppen ansprechen will, sondern dass ich die Beispiele direkt einfließen lassen.

Dabei lerne ich ständig dazu. So gibt es beispielsweise an der Universität Graz eine Kampagne zur Diversität, die zeigt, dass Diversität weit mehr ist als bloß die Berücksichtigung der Geschlechterunterschiede. Ich weiß auch, dass die sprachliche Umsetzung einer die Diversität der Gesellschaft berücksichtigenden Sichtweise manchmal mühsam ist. Ich weigere mich aber auch, das generische Maskulinum zu verwenden. Es ist eine sprachliche Konvention, die aufgestellt wurde. Sie ist nicht in Stein gemeißelt. Nur weil etwas immer schon so war, muss es nicht auch so bleiben.

Als ich im Zuge der Mitarbeit an Lehrbuch L3T 2013 im Genderteam eingeteilt wurde, war ich ziemlich genervt, weil ich die sprachliche Ebene für nicht wichtig hielt. Nur weil etwas „gegendert“ wird, heißt es nicht, dass es auch zu Gleichberechtigung führt… Ich denke heute noch gleich im Grunde, weiß aber, dass die Verwendung einer gendersensiblen Sprache zentral für die Bewusstseinsbildung ist. Ich habe viele Varianten probiert, vom Binnen-I über Doppelungen (Musikerinnen und Musiker) bis hin zum Unterstrich (Musiker_innen). Mittlerweile bin ich beim Gender-Sternchen gelandet und nutze es durchgängig, ich nutze aber auch weiterhin das Pronomen man und manchmal auch frau (wenn ich ausschließlich Frauen oder nur mich meine).

Das Denken in Dichotomien

Die meisten sprachlichen Formen – vor allem die Doppelungen – zeigen die Dichotomie von Mann/Frau auf. Es gibt aber auch noch etwas dazwischen und das wird mit dem Sternchen, m.E., gut ausgedrückt. Gerade dieses Schwarzweißdenken, das Denken in (veralteten) Dichotomien stört mich auf unterschiedlichen Ebenen, eben auch in der Kontrastierung von digital und analog.

Das führt auch zu (m)einer Ablehnung von Wortgruppen wie digital + Hauptwort. Niklas Luhmann hat mal sinngemäß gesagt, dass es immer zwei Seiten einer Sache gibt: die eine und die andere, wobei die andere die eine immer mitmeint und ohne die eine nicht verstanden werden kann. Das bedeutet nicht, dass diese beiden Seiten in einem exklusiv dichotomen Verhältnis zueinander stehen. Je nach Beobachterposition kann das andere zu dem einen ganz unterschiedlich sein. So kann man zum Wort süß als das andere sauer (Geschmack) oder bitter finden aber ebenso böse (Charakter). Ihnen fallen hier sicherlich bessere Beispiele ein.

Sich der Brille bewusst sein…

Was mich die Diversitätskampagne der Universität Graz gelehrt hat und was mir meine Kollegin Simone Adams in Gesprächen immer wieder zeigt, ist, dass wir uns unserer Denk- und Verhaltensmuster oftmals gar nicht bewusst sind. Einen schönen Einblick gibt uns Simone Adams in ihrem Beitrag zur #digiPH1-Tagung (siehe Tagungsband) und auch in der Aufzeichnung des Vortrags zu #digiPH2 an der Virtuellen Pädagogischen Hochschule.

Wenn ich Ihnen beispielsweise sage, dass Sie an einen Spanier Ihrer Wahl denken sollen, wie sieht er aus? Und wie ist es mit einem Deutschen? Unser Denken ist in unsere persönlichen Landkarten und Frames eingebettet. So habe ich beispielsweise Angst vor Hunden und unterstelle Hunden grundsätzlich eine gewisse Boshaftigkeit, nur weil ich als Kind von einem Hund gebissen wurde und anschließend eine Tetanusspritze bekommen habe, was mich wohl ein wenig traumatisiert hat. Sie können mich also mit Geschichten über Hunde überhaupt nicht positiv emotionalisieren. Sehen Sie sich als Beispiele die Videos der Diversitätskampagne an der  Universität Graz an und Sie werden sich wahrscheinlich ebenfalls beim einen oder anderen Fettnäpfchen wieder erkennen.

Dies geht eigentlich so weit, dass wir unsere Sicht auf die Welt überdenken sollten. Wir denken westeuropäisch und vielfach „weiß“ – man verzeihe mir die plumpe Art, dies zu schreiben. Aber nur als Beispiel: Wenn in Österreich jemand stirbt, dann trägt man schwarz und weint. Das ist unsere Konvention, wir verbinden mit der Farbe schwarz Trauer. Haben Sie schon mal in New Orleans an einer Trauerfeierlichkeit teilgenommen? Oder in Asien? Farben haben Konnotationen, die nicht in allen Kulturkreisen jenen der westeuropäischen Kultur entsprechen. Denken wir daran, wenn wir unsere Arbeitsblätter gestalten?

Ein Buch als Auslöser

Der von Axel Krommer et al. als Sammelband herausgegebene Routenplaner ist genau in die Genderfalle und unser westeuropäisches Bild getappt. Und er wird deshalb kritisiert. Das kann man machen, aber nur wenn die Herausgeber sich der Sache nicht bewusst gewesen wären. Das möchte ich erklären: Wenn ich in der Wissenschaft einen Artikel schreibe, dann treffe ich bewusste Entscheidungen. Ich hätte mich auch immer anders entscheiden können, aber ich habe mich eben für eine Seite entschieden. Die andere (Seite) sind folglich Limitationen, die meine Arbeit aufweist. Diese kann ich verschweigen oder als solche ausweisen. Ich zeige damit, dass ich mir der Limitation bewusst bin.

Das haben die Herausgeber des Routenplaners getan – sowohl im Vorwort, als auch in einem das Buch begleitenden Blogpost und auch auf Twitter in der offenen Diskussion (gesamten Thread lesen!):

Hätt i, war i, tat i…

Klar, die Herausgeber hätten auch Frauen fragen können. Sie hätten auch diverse Meinungen in ihr Buch einfließen lassen können. Das haben sie nicht, weil sie ein Projekt gemacht haben, unter Freunden, mit relativ ähnlichen Ansätzen, was das von ihnen behandelte Thema angeht. Das ist legitim.

Klar hätten sie einen anderen Weg gehen können. Aber das ist ein Hätt i, war i, tat i… Denn es wurden keine anderen Personen (Frauen oder nicht), die gerne mitgemacht hätten, ausgeschlossen oder abgelehnt. Klar, die rein männliche Herausgeberschaft ist ein Zeichen, das jede*r von uns vor dem eigenen Frame und auf der eigenen Landkarte deuten kann. Ich persönlich stoße mich überhaupt nicht daran. Ich habe es schon geschrieben:

  • Wäre ein Frau die Herausgeberin: Es wäre kein Problem.
  • Wären nur Frauen Herausgeberinnen: Es wäre kein Problem.
  • Gäbe es einen Herausgeber: Es gäbe kein Problem.

Was mich stört ist, dass jetzt eine Routenplanerin geschrieben werden soll, ein all female oder ein diverses Projekt – wie auch immer es aussehen soll. Das ist nicht die Lösung. Denn das Schreiben eines zweiten Teils ist nach den geführten Diskussionen – zumindest für mich – keine Option. Ich habe das in einer Tweetserie (bitte gesamten Thread lesen!) auch schon geschrieben:

Es geht nicht darum, das eine und das andere zu denken, sondern das Ganze. Und diese Chance hat zumindest die Diskussion, die gerade geführt wird, vertan. Und wenn hier jetzt auch Stimmen laut werden, dass sich die Community zerfleischt, dann finde ich auch das zu wenig weit gedacht: In der Community darf ruhig auch mal diskutiert werden, es muss nicht nur gekuschelt werden. Der Ton macht aber die Musik und wenn ich lese, dann lese ich mit meiner Brille – okay, der Vergleich hinkt. Aber ich konnotiere das Nonverbale innerhalb meines Frames oder auf meiner Landkarte. Die Auswahl einzelner Wörter erschwert die Kommunikation ebenfalls, da es verschiedene Lesarten gibt, man manchmal um der Ökonomie willen verkürzt…

Es gibt viele Stolpersteine in der Kommunikation im virtuellen Raum. Das zeigt sich gerade. Und es zeigt sich, wer im Stande ist trotz aller Emotion [OT: Dazu passend der aktuelle Call der Zeitschrift Medienimpulse.] und Aufgeladenheit den Blick auf das Ganze zu werfen und wer nur durch die eigene Brille betrachtet bzw. sich in der Diskussion verbiegt und widerspricht. Aber auch das ist menschlich und wieso sollte der virtuelle Raum anders sein, als der „reale“, wenn man auch hier eine Dichotomie bemühen möchte.