Kommentar zu „Angstfach Mathe – Die Abrechnung mit der Unterstufe“

Im Format Dok1 auf ORF1 läuft zurzeit eine vierteilige Sendereihe zum Thema Schule in Österreich. Lisa Gadenstätter beleuchtet dabei das Bildungssystem aus unterschiedlichen Perspektiven. Zur Sendung vom 5. September ein paar Gedanken und Ergänzungen.

Gleich vorweg: Die Sendung Angstfach Mathe – Die Abrechnung mit der Unterstufe kann in der ORF TVthek grundsätzlich bis 7 Tage nach Ausstrahlung nachgesehen werden – wer sich die Sendung vorab ansehen will, muss dies vor dem 12. September 2019 tun.

Ich habe mich auf die Sendung ehrlich gefreut, finde die Sendereihe auch durchaus in Ordnung, aber, da mich die gestrige Ausgabe noch immer beschäftigt, möchte ich ein paar Gedanken (und ich beschränke mich auf fünf, um hier nicht unbotmäßig lang zu werden) dazu äußern.

Der Titel

Angstfach Mathe – Die Abrechnung mit der Unterstufe ist natürlich ein guter Titel, um Zuseher*innen zu mobilisieren. Es gibt viele, die vor Mathematik Angst oder Respekt – man möge es nennen, wie man möchte – haben oder hatten. Ein Kopfnicken ist hier vielfach vorprogrammiert. Letztlich hat die Sendung jedoch nicht wirklich geklärt, warum Mathematik ein Angstfach ist und bei vielen Schüler*innen zu Schweißausbrüchen führt. Eine mögliche Antwort ist die sprachliche Ausgestaltung der Text-Aufgaben, die in den Bereich Bildungssprache Deutsch fällt, die es (unabhängig von der Erstsprache der Schüler*innen) zu trainieren gilt.

Dies trifft auch in den Fremdsprachen zu in Hinblick auf das gängige Fachvokabular – man denke an die Trias Tunwort – Zeitwort – Verb. Wir sind durch unsere Lehrpersonen und deren Sprachverwendung geprägt (Role Model, Imitation, Inputhypothese usw.). Auch die Sprache der Mathematik muss gelernt werden – sprachsensibler Unterricht ist eine Option.

MS vs. AHS

Ich finde es grundsätzlich ja gut, dass die Diskussion um AHS vs. MS (Allgemein Bildende Höhere Schule, früher: Gymnasium vs. Mittelschule, früher: Hauptschule) geführt wurde. Die Art und Weise, wie sie präsentiert wurde, halte ich jedoch für problematisch. Die Grundaussage ist schon richtig: MS müssen sich spezialisieren (Musikmittelschule, Sportmittelschule…), da die AHS vielfach ein höheres Prestige hat bzw. ihr ein höheres Prestige nachgesagt wird. Auch hier ein tendenzielles Ja, aber eine pauschale Beantwortung ist schwierig. Gerade auf die Entwicklung der Mittelschulen wurde viel Augenmerk gelegt, man denke an die Arbeit am Zentrum für lernende Schulen und die Vernetzung und Begleitforschung, die hier betrieben und unterstützt wird (Danke an Joe Buchner für die Ergänzung).

Die Befragung der Schüler*innen im Beitrag halte ich für problematisch: Während die Schüler*innen der AHS Anwalt, Journalistin usw. werden wollen, haben die Schüler*innen der MS keine wirkliche Ahnung… Paul Kirschner würde dies wahrscheinlich einen anekdotischen Befund nennen, weil es genügend Gegenbeispiele gibt. Wahrscheinlich haben auch viele Schüler*innen der AHS gesagt, sie wissen noch nicht, was sie später werden möchten, was übrigens eine Stärke der AHS sein kann: Sich vielleicht auch von der Vielzahl der Angebote an Lerninhalten inspirieren zu lassen. (Danke an Joe Buchner für diesen Hinweis!)

Als eine Schülerin befragt wird, die aus der AHS „zurück“ in die MS ging (ich mag schon das Wording nicht), weil sie in Deutsch und Englisch ein Nicht Genügend hatte, und die erzählt, sie habe jetzt ein Sehr Gut bzw. Gut, werden die Gründe nicht wirklich genannt. Lernen und Lernerfolg wird von sehr vielen Parametern beeinflusst – das zeigt uns Hattie deutlich.

Besonders empfehlenswert ist hierzu auch das Video Wie lernen wir „gehirngerecht“? von Dr. Roland Grabner, Begabungsforscher der Universität Graz, der auch im Beitrag von ORF1 zur Wort kommt und mit einigen Allgemeinplätzen aufräumt. (credits 2 @Josef_Buchner)

Zu den Schultypen lassen sich so viele Fragen stellen – die Gesamtschule wäre hier anzudenken, das Überdenken der Sprungentscheidungen alle vier Jahre. Die Lehrer*innen sollten untereinander besser vernetzt werden, damit die Lehrenden der Volksschule wissen, worauf es in der Sekundarstufe 1 ankommt und die Sekundarstufe 1 weiß, worauf sie aufbauen kann. Diese Gedanken sind nur ganz oberflächlich genannt und verdienten sicherlich mehr Raum…

Lernen mit Social Media

Zunächst: Ja, ich glaube, man kann mit Social Media gut lernen und ich glaube auch, dass Benjamin Hadrigan mit seinem Buch #Lernsieg viel Wichtiges sagt.

Was er nämlich macht, ist eine aktive Beschäftigung mit dem Lernstoff zu propagieren und zwar mit jenen Werkzeugen, die den Schüler*innen aus ihrem Alltag vertraut sind. Dagegen ist wenig einzuwenden, es ist wichtig, die Lernenden dort abzuholen, wo sie sind. Ist der Lernstoff neu, greifen wir auf vertraute Mittel und Wege (und eben auch Werkzeuge) zurück, ist der Lernstoff bekannt, kann auch ein neuer Weg beschritten werden. Hierbei kann die Cognitive Load Theory einen wichtigen Anhaltspunkt liefern (hier auch als kurzes Video erklärt).

Was mich am Bericht jedenfalls massiv gestört hat, ist die Tatsache, dass die Altersbegrenzung von Social Media ignoriert wurde. WhatsApp ist erst ab 16 Jahren zu nutzen, andere Social-Media-Kanäle ab 13 Jahren, teilweise ist auch hier die Zustimmung der Eltern notwendig. SaferInternet.at gibt hier einen schönen Überblick.

Also ja, man kann diese Werkzeuge sicherlich sinnvoll nutzen, muss dabei aber im gesetzlichen Rahmen bleiben (auch wenn es um die Empfehlung als Lernwerkzeug im Gegensatz zum Lehrwerkzeug geht).

Und dazu eine Notiz am Rande, die aus einer Diskussion mit Joe Buchner klar rausgekommen ist. Das Lernen muss nicht immer Spaß machen. Lernen ist auch anstrengend und darf auch anstrengend sein. Spaß soll Teil des Lernens sein. Es geht darum, die Motivation am Lernen nicht zu nehmen und zwischen Spaß und Motivation sollte man jedenfalls unterscheiden.

Die Lerntypen

Wer meine Blog verfolgt, der weiß, dass ich mit der Lerntypendiskussion so meine Probleme habe. Lerntypen helfen uns dabei, Unterricht multimodal und multisensual zu planen. Dies ist wichtig, um mehrere Verarbeitungskanäle ansprechen zu können, weil wir auch gewohnt sind, unsere Umwelt mit mehreren Kanälen aufzunehmen. Die Menschen aber in Typen einzuteilen, erscheint mir problematisch, vor allem da nicht bewiesen ist, dass es Lerntypen gibt (wobei auch nicht bewiesen ist, dass es sie nicht gibt). Dies wurde von Dr. Roland Grabner im Beitrag auch klar gesagt. Es handelt sich um einen Mythos. Es gibt hierzu zahlreich Literatur, die man konsultieren kann.

Die (nicht) erwiesenen (mehr als vier) Lerntypen aber als aktuellen Stand der Wissenschaft hinzustellen und hingestellt zu lassen, finde ich problematisch. Wenn Benjamin Hadrigan hier vom neuesten Stand der Forschung spricht, die von vier Typen ausgeht, weil der fünfte und sechste Typ erst beforscht werden (und er das auch in seinem Buch so beschreibt), dann ist das einfach problematisch (um es diplomatisch zu formulieren).

Quelle: Pixabay

Zumal die Lerntypen sowohl auf Seiten der Schüler*innen als auch der Lehrer*innen nicht selten als Ausrede oder Vorwand genutzt werden.

Hier schließe ich auch – rund um die VAKOG-Diskussion – an Punkt eins, nämlich die Sprachverwendung der Lehrperson, an, die als Input maßgeblich am Lernprozess beteiligt ist.

Latein

Was ich am Beitrag großartig gefunden habe, war die Aussage des Lateiners, auf die Frage, wozu man Latein lernen sollte, dass Latein das logische Denken prägte. Die Sprache hilft uns dabei, Sprachmuster zu verstehen und zu hinterfragen. Und ich komme hier auch wieder zu Punkt eins zurück: Latein ist für die Bildungssprache Deutsch von immenser Bedeutung – addiere und subtrahieren aus der Sprache der Mathematik sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass Latein nicht so unwichtig ist, wie manche*r vielleicht meinen möchte.