Raus aus der Filterblase

Digital affine, social-media-begeisterte Menschen neigen dazu, sich eine Filterblase aufzubauen und diese auch auszuweiten. Man folgt jenen Menschen, die Dinge schreiben, die für einen selbst interessant sind, man abonniert Zeitschriften, man tritt den entsprechenden Gruppen bei.

Nicht, dass es früher nicht auch so war, als man nur eine Tageszeitung hatte und das öffentliche Fernsehen aus zwei Sendern bestand. Ein Informationsmonopol war früher auch schon vorhanden, zumindest in Österreich. Heute kreiere ich mir diese Filterblase aber selbst. Ich muss schließlich in der Informationsflut irgendwie zurechtkommen, oder nicht?

Quelle: Pixabay

Nun, ich halte es ein wenig anders und habe bewusst Kanäle und Personen abonniert, die meiner Meinung und meinen Ansichten diametral entgegenstehen. Weil sie mich zum Nachdenken bringen, mich meine eigene Position hinterfragen und in Frage stellen lassen und weil sie neue Perspektiven mit sich bringen. Man kann schließlich auch ex negativo lernen. Das predige ich und lebe es folglich auch.

Das ist auch der Grund, warum ich Manfred Spitzer (Digitale Demenz, Lernen: Gehirnforschung und die Schule des Lebens und Dopamin und Käsekuchen: Hirnforschung à la carte sowie Vorsicht Bildschirm!: Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit und Gesellschaft) zumindest an-, einiges auch fertig gelesen und auch live gehört habe. Und das ist auch der Grund, warum ich mir gestern Konrad Paul Liessmann an der Universität Graz angehört habe. Ich habe seine Theorie der Unbildung gelesen. Ich habe in den Weihnachtsferien Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam? gelesen und finde den Wechsel mit Michael Köhlmeier großartig. Bildung als Provokation habe ich nur angelesen und dann weggelegt. Nicht, dass es sich bei beiden, Spitzer und Liessmann, nicht um kluge Menschen handelt, aber ihre Entweder-Oder-Verteufelungsposition ist so überhaupt nicht meine.

Ja, aber…

Es bedurfte nur weniger Momente, bis Liessmann die Digitalisierung per se verteufelte und zu einem Rundumschlag gegen DAS Digitale in der Bildung ausholte. Ganz philosophisch zeigte er auf, woran es im Bildungssystem scheitert, ohne Lösungen zu liefern. Dialektisch lieferte er Thesen und Antithesen, die Synthese aber blieb aus. Der Begriff der „Bildung“ und ihre Komposita wurden als leere Worthülsen entlarvt, mit denen gerade stark gearbeitet, über die diskutiert und mit denen Geld verdient wird – Moment, wie heißt Liessmanns Buch noch gleich? – Beispiele und Anekdoten unterfütterten seine Gedanken. Alles in allem sehr amüsant anzuhören, vor allem aber traf er den Geschmack des Publikums.

400 Millionen Euro für die Ausstattung mit Tablets an Österreichs Schulen sind da, aber die 50 Millionen für Stützlehrer*innen für Schüler*innen mit Migrationshintergrund und sprachlichen Defiziten nicht. Allgemeines Kopfnicken und Applaus. Es gibt keine einzige Studie, die untermauert, dass digitale Medien beim Lernen helfen. Ganz im Gegenteil. Allgemeines Kopfnicken und Applaus. Das Faktenwissen wird aus den Lehrplänen verdammt. Lehrer*innen dürfen keine Fakten mehr abprüfen, sie dürfen nur mehr kompetenzorientiert unterrichten. Und das in einer Zeit, in der mit dem Aufkommen der Alternative Facts gerade großer Wert auf die Fakten gelegt werden sollte. Allgemeines Kopfnicken und Applaus.

Und ja, er hat ja nicht Unrecht. Konrad Paul Liessmann gilt als Provokateur. Er regt zum Nachdenken an, mich zumindest. Ich hätte gerne auf seine Aussagen mit „Ja, aber…“ geantwortet. Die Aussagen sind pauschal und undifferenziert, es gibt nur Schwarz und Weiß. Dazwischen ist nichts zu finden. Aber klar, er möchte ja, so wie Manfred Spitzer auch, seine Bücher verkaufen. Und wir brauchen ja auch Menschen, die Thesen aufstellen, die von anderen dann überprüft und dann angenommen, angepasst oder gänzlich verworfen werden. Beide schaffen es jedenfalls, dass über Bildung gesprochen wird. Und dass sich Sigrid Hartong in der anschließenden Diskussion, die wenig diskursiven denn eher monologischen Charakter hatte, zur Aussage hinreißen ließ, dass auch der Kompetenzbegriff eine leere Hülse sei (die Originalaussage war viel drastischer, ich habe hier objektiviert).   

Bildung ist nicht gleich Ausbildung

Was wir nun aber wirklich brauchen, ist eine differenzierte Diskussion über Bildung und vor allem eine Abgrenzung zur Ausbildung und zum Fort- und Weiterbilden im Sinne des Lifelong Learnings, weil diese drei Aspekte nicht getrennt wurden. Als Beispiel wurde der Mediziner (ja, gendersensibel war der Abend nun wahrlich nicht) genannt, von dem wir uns erwarten, dass er Fachwissen hat, wenn er uns operiert. Ja, aber das ist seine Ausbildung und nicht seine Bildung, hätte ich gerne geantwortet. Man erwarte ja auch, dass er sich ständig informiert und immer am neusten Stand ist. Ja, aber das ist die Fort- und Weiterbildung als Anschluss an die Ausbildung und hat mit Bildung per se auch wenig zu tun. In der Allgemeinsprache verschwimmen diese Begriffe zunehmend, was sehr schade ist.

Korrelation ist nicht gleich Kausalität

Was auch verschwimmt, was ebenso schade ist, ist der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. Schüler/innen lernen schlechter, weil sie digitale Medien nützen (müssen). Lehrer/innen unterrichten keine Fakten mehr, weil sie sich auf Kompetenzen konzentrieren (müssen). Eine hohe Korrelation bedingt keine Kausalität, auch wenn etwas „logisch“ erscheint auf den ersten Blick. 

Also?

Öffnet eure Filterblase, lasst kritische Positionen zu, lest Spitzer, Liessmann, DrägerLembke und wie sie alle heißen. Lest sie aber alle, sowohl den einen als auch den anderen. Sonst entsteht eine Entweder-Oder-Position und ihr seid in einer Filterblase gefangen. Ich empfehle in diesem Zusammenhang die Lektüre vierer von fünf Blogbeiträgen, 

Ich finde die Blog aller drei sind differenziert, nehmen unterschiedliche Perspektiven und Positionen ein und bieten somit einen Mehrwert (der Begriff musste fallen 😉 – danke Axel und Gerhard für die dazupassenden Beiträge).

Ein Gedanke zu „Raus aus der Filterblase

  • Januar 10, 2018 um 8:29 pm Uhr
    Permalink

    Chapeau, Elke! Mit erstens diesem Zeitdruck und zweitens dieser Prägnanz die ambivalente Faktenlage und die oftmals falschen – weil absoluten – Argumente der Digitalskeptiker-Protagonisten und nebenbei deren applausheischende Slogans als primär verkaufsfördernd zu entlarven… Thumbs up³!
    Hab erst neulich einen älteren FB-Freund (und Freund – not the same 😉 aufgeklärt. Er bat seine FB-Bekanntschaften, ihm kurz zu antworten, weil er gehört hatte, FB habe einen 'neuen Algorithmus' eingeführt, der bewirke, dass man nicht mehr alle seine Freunde auf der Timeline sehen kann. Meine längere Antwort hat ihn offenbar etwas verwirrt…
    lg
    Andreas

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