Würde eine Person aus dem Jahre 1750 in eine Zeitmaschine steigen und irgendwo im heutigen Österreich in einem Shoppingcenter rauskommen, dann wäre dieser Mensch vollkommen verwirrt.
Er würde unzählige Marken sehen, Rolltreppen und Selfiesticks. Draußen sieht er Autos, Ampeln und Smartphones. Erst wenn dieser Mensch dann ein wenig weitergeht und ganz zufällig in eine Schule kommt, ein Klassenzimmer betritt, dann würde dieser Mensch sagen: Jetzt kenn ich mich wieder aus! (frei nach Klaus Eckel).
Nicht nur Comedians greifen gerne auf solche Vergleiche zurück, sondern auch Autor*innen, die in populärwissenschaftlichen Werken endlich eine grundlegende Veränderung unseres Schul- und Bildungssystems einfordern. Warum? Weil unser Schulsystem auf der Grundlage der Industrialisierung entstand und das passt nun wirklich nicht mehr in unsere moderne Welt.
Ein gutes Beispiel dafür ist Ken Robinson und sein berühmter Vortrag über „Changing Educational Paradigms“:
Für den deutschsprachigen Raum kann an dieser Stelle auf Richard David Precht verwiesen werden, der die Thesen von Robinson aufgreift und erweitert, z.B. hier:
Warum entsteht der Eindruck, unser Bildungssystem würde sich nicht und nicht verändern?
Die bisherigen Revolutionen
Tatsächlich, wie De Bruyckere, Kirschner & Hulshof (2015, S. 192) festhalten, bleiben große „Revolutionen“ aus. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Innovationen oder Veränderungen in unseren Schulen und auch Hochschulen gibt bzw. gegeben hat. Dies wird auch deutlich, wenn man sich das Werk von Hattie (2013) in Ruhe und vor allem vollständig ansieht. So stellt er fest, dass es dem Bildungssystem nicht an Innovationen fehlt, sondern schlicht und einfach viele Innovationen nicht zu den Ergebnissen geführt haben, die angenommen bzw. erhofft wurden. Eine schöne Übersicht dazu findet sich in seiner Meta-Metaanalyse auf S. 287, Tabelle 21 hinsichtlich der Frage, ob Lehrpersonen eher Coach oder Regisseur im Rahmen von Unterricht sein sollen (Hattie, 2013).

De Bruyckere et al. (2015) ergänzen, dass viele Innovationen von Schulen „transformiert“ werden, sodass sie überhaupt im bestehenden System realisiert werden können. Als Konsequenz werden aus vermeintlichen Innovationen wieder Praktiken, die von vielen Lehrpersonen bereits gelebt wurden und ihnen bekannt sowie vertraut sind (ebd., S. 192).
Zwei äußerst einflussreiche Revolutionen hat es übrigens gegeben, beide haben das Lehren und Lernen nachhaltig verändert:
- Die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg im 15. Jahrhundert.
- Das Aufstellen von Tafeln in allen Schulklassen um 1800.
Auch heute noch gibt es genug Veränderungen, man denke nur an den Bologna-Prozess, die Einführung der Standardisierten Reife- und Diplomprüfung in Österreich und die Formulierung der Lernziele als Kompetenzen. Gerade letzteres könnte man vielleicht sogar auch als Revolution bezeichnen (?).
Das Kontinuierliche
Bildung verändert sich, wenn auch langsam. Hierzu können wir den Vortrag von Helmut Fend zu „50 Jahre Bildungsforschung“ empfehlen:
Warum sich im Bereich Bildung nur langsam etwas bewegt, ist offensichtlich. Es gibt so viele Menschen, die direkt von Veränderungen betroffen sind. Schnellschüsse können nicht nur nicht riskiert, sondern einfach auch nicht verantwortet werden.
Und selbst wenn man versucht einen ganzen Schultyp auf der Grundlage von Evidenzen aus der internationalen Forschung zu Schulentwicklung, Lehren, Lernen, Professionalisierung, Kompetenzorientierung, Differenzierung, etc. aufzubauen (vgl. Westfall-Greiter, Schratz, & Hofbauer, 2015), sehen sich diese „Innovator*innen“ mit Kritik konfrontiert, die vorrangig aus den eigenen Reihen kommt. Gemeint sind hier nicht die Lehrer*innen, sondern ihre Vertretungen in der Gewerkschaft. So wird auch heute noch gefordert, Lehrer*innen zu entlasten (natürlich auch die armen Schüler*innen) und doch Kinder mit 10-11 Jahren wieder in Leistungsgruppen einzuteilen (z.B. im Kurier). Alle würden davon profitieren.
Auch hier können wir uns nur wundern und erneut auf Hattie verweisen:
Bei diesem Thema geht es nicht um Evidenzen oder Zahlen, sondern einfach um Moral. Können wir uns tatsächlich erlauben, Kindern einen Stempel aufzudrücken, der ihnen sagt: Du bist (von Beginn an) schlechter als ein*e andere*r?
Was nun?
Eine große Errungenschaft, die die Entwicklung unseres Bildungssystems mit sich gebracht hat, ist die pädagogische Freiheit. Diese wird zwar von Schulaufsicht, Curricula etc. eingeschränkt, trotzdem aber bleiben viele Freiheiten übrig. Welche Methoden, Medien setze ich ein und wie viel Feedback gebe ich jedem und jeder einzelnen? Dies liegt in der Verantwortung jeder Lehrperson, diese Verantwortung zu übernehmen, dafür wurde sie ausgebildet.
Nutzen wir das und verändern zumindest dort, wo wir auch können!
Quellen
- De Bruyckere, P.; Kirschner, P. A. & Hulshof, C. D. (2015). „Myths in Educational Policy. Myth 8: Education Never Changes“, in: dies. (Hg.), Urban Myths about Learning and Education. Amsterdam et al.: Elsevier: 191-193.
- Hattie, J. (2013). Lernen sichtbar machen (W. Beywl & K. Zierer, Übers.). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
- Westfall-Greiter, T., Schratz, B., & Hofbauer, C. (2015). Gute Schule, neue Mittelschule. Grundlagen für einen förderlichen Diskurs. Online.