Bei den EDU|days 2023 durfte ich die Keynote halten. Der Titel: Vom ISMUS zum ION. Dabei nahm ich die Zuhörer:innen auf eine imaginierte Exkursion mit.
Ich gestehe, der Titel ist kryptisch. Aber so blieb die Spannung bis zur Keynote erhalten. Worum es mir in dieser Keynote ging, ist eigentlich leicht auf den Punkt zu bringen: Weg von starren Mustern hin zu agilen und flexiblen Mustern. Die Grundthese dabei lautet, dass Wortbildungen mit dem Suffix -ismus (kurz: ISMEN) eher verfestigte Muster und Wertehaltungen beschreiben, die in einer schnelllebigen Zeit – wie der unseren – den Fortschritt, die Agilität und somit auch das Mitgehen behindern. Demgegenüber stehen Wortbildungen mit dem Suffix -ion (kurz: IONEN). Sie sind weniger starr, fluider und damit auch flexibler.
Sind ISMEN negativ?
Die österreichische Antwort: Jein. Es gibt natürlich positiv konnotierte ISMEN. Sie werden hier, wenn Sie drüber nachdenken, sicherlich Beispiele finden. Gleich wie Sie auch Beispiele für starre IONEN finden werden. Ausnahmen bestätigen die Regeln. Aber ich habe in der Recherche für mich den Eindruck gewonnen, dass Muster, an die wir uns gerne halten, oft ISMEN sind: Dogmatismus, Traditionalismus, Behaviorismus, Egozentrismus, Eurozentrismus und viele mehr. Eine umfangreiche Liste und Klassifizierung findet sich in der Wikipedia. Es sind Schubladen, die wir zur Rechtfertigung unseres Handelns heranziehen. Es sind Begründungen, es sind gewachsene Strukturen. Und wenn Strukturen wachsen, dann setzen sie auf Fundamente auf, die manchmal wackeln oder eigentlich überdacht werden sollten. Gewachsene Strukturen bedeuten Stabilität, diese kann aber positiv und negativ betrachtet werden.
Ein Satz, den ich nicht mehr hören kann
Es war schon immer so. Wieso sollten wir es ändern? Das ist ein Satz, den ich nicht mehr hören kann. Stabilität ist keine gute Begründung. Sie gibt uns Halt, sie kann uns aber auch einschränken. In einer Gesellschaft der Transformation, der Digitalität und der Disruption bewegen sich die Gesellschaft und ihre unterschiedlichen Systeme. Sie verändern sich. Und Sie merken schon: Im letzten Satz haben sich zwei IONEN versteckt. Vision, Imagination und Antizipation, die Teil der VUCA-Welt-Beschreibung und der Futures Literacy sind, können als weitere Beispiele hinzugefügt werden.
IONEN zeugen von Handlungen, abgeschlossenen oder noch laufenden. Siehe auch hier den Beitrag in der Wikipedia.
Themenvielfalt der EDU|days 2023
In der Keynote habe ich versucht, für einen Shift von der Starrheit zur Flexibilität zu plädieren und dabei den Bogen für die breiten Themen der EDU|days 2023 aufzumachen. Die Aufzeichnung der Keynote findet sich zum Nachsehen online. Der Foliensatz, der auf der Titelseite einen IONEN-Antrieb zeigt, kann separat auf Slideshare angesehen werden:
Transformation und Disruption durch AI am Beispiel von ChatGPT war sicherlich ein zentrales Thema der EDU|days. Die Themen waren aber dennoch sehr breit gestreut und der Austausch während der zwei Tage war sehr intensiv. Neue Ideen wurden geboren, alte Projekte wieder aufgenommen und neue Netzwerke gebildet. Genau darum geht’s bei Tagungen. Und es war schön, wieder zurückzukommen nach Krems und die sich mit jenen Menschen auszutauschen, die sich mit dem Thema des Digitalen in der Schule und der Hochschule beschäftigen. Aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus und mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen und Erwartungen.
Die gesamte Nachlese der EDU|days 2023 findet sich online abrufbar: Fotos, alle Videoaufzeichnungen, die Foliensätze zu den einzelnen Beiträgen. Wer nicht live dabei sein konnte, kann sich hier von der Vielfalt der Beiträge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz überzeugen. Aber Achtung: Planen Sie ausreichend Zeit ein. Der spontane Wunsch nach Binge-Watching kann nicht ausgeschlossen werden.
Auch nur Schubladen
Und gerade bei den verschiedenen Perspektiven und Vorerfahrungen, dem Vorwissen und den Erfahrungen spießt sich auch bereits die Keynote – wir könnten jetzt von KonstruktION und von KonstruktivISMUS sprechen. Denn auch die beiden Schubladen von ISMEN und IONEN sind nur Schubladen, die man aufmachen kann. Sie bieten Orientierung. Aber immer dann, wenn mit Sprache gearbeitet wird, merkt man, dass es unterschiedliche Deutungen gibt. Es gibt ein Sowohl-Als-Auch und kein Entweder-Oder. Und dieses Motto sollte auch im Unterricht und beim Lernen im Vordergrund stehen. Ich biete Lernmöglichkeiten an und die Lerner:innen nehmen sich, wie bei einem großen Buffet, nach ihren Bedürfnissen jene Elemente, die sie benötigen. Einzige Prämisse: Sie müssen auf eine ausgewogene Ernährung achten. Es gibt nicht immer nur Nachtisch. Es gibt nicht immer nur Fast Food. Die Mischung macht’s.
AustriazISMUS
Ein ISMUS, über den noch länger diskutiert wurde, ist der Austriazismus, für den ich stark plädiert habe. Durch die Globalisierung und vor allem auch durch deutsche Synchronisierungen und deutsche Serien verliert sich die österreichische Varietät immer mehr. Ich persönlich finde das schade und kann das eine oder andere Wort aus dem Deutschen auch gar nicht mehr hören. Ich habe darüber schon öfter auf meinem Sprachenblog geschrieben – vor allem am Tag der Erstsprache. Hier ein Beispiel:
Und weil ich’s beim Durchschauen gerade gesehen habe, auch der zweite Teil dazu:
Mir fehlen die österreichischen Spezialbegriffe zunehmend. Ich ertappe (oder erwische) mich oftmals dabei, selbst ins Deutsche zu gleiten – Erdäpfel oder Kartoffeln, Tomaten oder Paradeiser, schmecken oder lecker sein. Gut, das letzte Beispiel sorgt dafür, dass sich mir die Haare aufstellen (oder die Zehennägel einrollen, wie in meiner Kindheit gesagt wurde). Bei AustriazISMEN geht mir das Herz auf. Aber das ist mein ganz persönlicher ISMEN-Liebling, den man nicht teilen muss. Und da fiel auch wunderbar ganz am Anfang gleich das Beispiel von Walter Wegscheider auf – als ich bei der Keynote nach IONEN fragte und er direkt mit PensION antwortete. Der Blick in die Zukunft, die Vision der Pension. Ist auch irgendwie ein schöner Start in eine Keynote.
Darüber hinaus:
- Ein kurzer Nachbericht kann auch in der Wirtschaftszeit nachgelesen werden.